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Meine Hebamme sagte im Vorbereitungskurs, dass sie bereits am Gesichtsausdruck erkennen könne, ob die Frauen schon im fortgeschrittenen Wehenstadium sind oder noch ganz am Anfang. Und zwar wenn sie in der Tür zur Entbindungsstation erscheinen und so in etwa sagen Mein Kind kommt. Mein Gesichtsausdruck muss wohl ziemlich beeindruckend gewesen sein. Jedenfalls wurde ich geschnappt und stracks in Richtung Kreißsäle geführt. Nix Vorbereitungszimmer, finalem Ultraschall etc. etc. etc. Alle drei Kreißsäle waren grade frei. Mein Mann traf die Entscheidung für mich, indem er nach rechts in den rosafarbenen mit rundem Bett und Sternenhimmellampen an der Decke stürmte. Ich warf meine Sachen mit Ausnahme von Shirt und BH auf den Boden und erkletterte irgendwie das Bett. Dann atmete ich einmal tief ein und wieder aus - ich fühlte mich in Sicherheit, jetzt konnte unser Baby kommen. Am Tag zuvor, einem Freitag, hatte ich noch mal bei der Ärztin die Beine breit gemacht. -Schön tief liegt es schon. Ich werde da mal einen Griff machen, das wird Ihnen helfen-. Zack, spreizte sie ihre Finger in meiner Vagina und bevor ich au rufen konnte war sie schon fertig. Ich wackelte nach Hause und dachte, na klasse, du wurdest grade geweitet. Was bin ich, ein Fahrradreifen den man einfach mal so dehnen darf? Genau genommen wurde ich seit neunundreissig Wochen ununterbrochen gedehnt. Das Baby war sehr aktiv, oder zumindest nahm ich das an. Ich achtete nicht so sehr darauf. Gegen 04.00 morgens gönnte ich mir ein warmes Fußbad und rollte anschließend doch noch ins Bett. Als mein Liebster gegen 07.00 vor meinem Bett erschien, hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass diese Bewegungen nicht von meinem Baby stammen können. Ich murmelte etwas in der Richtung zu ihm. Und dass er sich doch hinlegen soll, ich würde mich schon melden, wenn es was wäre. Gegen 08.30 erhob ich mich wieder. Ich schrieb die Wehenabstände auf. Verbrachte die Wehen vor dem Sofa kniend oder auf und ab laufend. Oder auf dem Klo. Mein Darm hatte aus Solidarität zur Gebärmutter auch beschlossen, alles zu geben. Immerhin ersparte mir das später den Einlauf. Gegen 10.00 hielt ich es nicht mehr aus. Ich weckte ihn. Er passte auf, dass ich mich beim Duschen nicht auf den Bauch schmiss. Und beim Anziehen musste er mir helfen. Schon im Auto fühlte ich mich besser. Es war ein glitzernder kalter frostiger Tag, dieser 11. Januar des Jahres 2003. Aus irgendeinem Grund machte mich das glücklich. Mein Kind kommt und die Luft strahlt, dachte ich. So gehörte sich das.20 Minuten später stand ich dann auch in der Tür der Entbindungsstation, murmelte etwas wie Mein Kind kommt. Mein Liebster sagte etwas von Wehenabstand nur noch zweieinhalb Minuten und schwups, saß ich auf dem rosa Bett. Muttermund schon 4 cm, wow, verkündete Hebamme Doreen. Da war es bereits 11.30. Und mir war kotzübel. Ich kam mit der Atmung nicht klar, hyperventilierte, also kribbelten die Finger, ich geriet in die so genannte Sauerstoffschuld. Dann verteilte ich mein Frühstück über meine Hand, mein Shirt und den Fußboden, mein Mann konnte grade noch beiseite springen. Ich hatte irgendwie gedacht, zwei getrocknete Feigen zu essen wäre eine gute Idee. Nun, da waren die Feigen wieder. Tee und Zwieback wären wohl besser gewesen. Das Bett war toll. Man konnte es in alle Richtungen verstellen. Es sah sowieso aus, als ob es alles könnte, nur nicht fliegen. Oder die Wehen lindern - Manchmal hing ich mich an das Seil, welches über dem Bett angebracht war und verschaukelte sozusagen die Wehen. Zu mehr hatte ich keine Lust. Dummerweise wollte Doreen, dass ich mich wieder hinlege, in die Seitenlage. Sie scheuchte mich in regelmäßigen Abständen von einer Seite auf die andere, das sollte dem Kind helfen.Irgendwann wurde mir entsetzlich kalt. Infolgedessen ließen die Wehen nach und es kam zu einer Wehenpause, kurz bevor der Muttermund vollständig war. Ich wurde in eine Decke eingepackt, aber die Wehen blieben weg. Da ließ ich den Wehentropf zu. Merkwürdigerweise machten mich die Wehen ganz still. Zuhause hatte ich noch gestöhnt, geschimpft und geflucht. Es fühlte sich an, als sei ich mit meinem Körper in ein Tellereisen geraten. Von innen. Spitze Zähne bohrten sich durch meine Gewebeschichten, von der Lendenwirbelsäule ausgehend einen Kreis bis zum Bauchnabel bildend.Es war mein Schmerz, ich wollte ihn und ich wollte, dass er vorbeiging, denn dann würde ich mein Kind in den Händen halten. Also schloss ich die Augen und gab keinen Ton von mir. Die meiste Zeit verbrachte ich mit geschlossenen Augen. Ich spürte nur die Tätigkeit der Hebamme, gab ab und zu Antworten, wenn ich musste. Manchmal sprach auch mein Mann für mich, wenn ich keine Lust hatte. Ich war nicht zu schwach, nein, ich wollte nicht sprechen. Schlimm waren die trockenen Lippen. Mein Mann kümmerte sich darum. Ich war so froh, dass er bei mir war. Viel hatte er nicht von mir, aber ich umso mehr von ihm. Mal seine Hände an meinem Gesicht, mal ein Streicheln, ein paar Worte, die ich aber kaum beantwortete. Nach meiner Show mit den Feigen hatte er mir ein sauberes Shirt angezogen. Und bei den bald einsetzenden Presswehen hielt er meinen Kopf. Einige Presswehen musste ich veratmen. Das klappte von den ganzen erlernten Atemtechniken noch am besten. Ich hatte einen Haufen Presswehen. Trotz - oder vielleicht wegen des Wehentropfes - fand ich die Presswehen viel zu kurz. Es reichte nur für einen Atemzug. Die Herztöne des Babys wurden schlechter. Der Dammschnitt wurde gesetzt und Ladies, ich kann Euch sagen, ich spürte ihn sehr wohl, aber es war mir schnurzpiepegal. Das kam der Realität ziemlich nahe. Tatsächlich beschrieb mein Mann es später so, das unser Baby wie ein Korken herausschoss. Als die Wehe endlich kam, presste ich und die Ärztin quetschte meinen Bauch nach unten. Ich fühlte einen Ruck, Fruchtwasser klatschte in einem hohen Bogen auf die Erde. Meine Socken wurden nass gespritzt. Dann hörte ich die Hebamme sagen, dass es ein Mädchen ist und die Welt stand still. In diesem Augenblick geschahen viele Dinge. Ich fühlte Verlust, aber auch unbändige Freude. Ich schlenkerte mit den Armen, wusste nicht wohin mit meinen Händen. Eben hatte ich sie noch in den Kniekehlen, jetzt waren sie vollkommen nutzlos. Ich hörte, wie mein Liebster sich zum Durchschneiden der Nabelschnur bereit erklärte. Einen Wimpernschlag später hatte ich unser Mädchen endlich im Arm. Unsere Helena, unser erstes Kind.Sie gab kleine Geräusche von sich, kein Schreien oder Brüllen. Sie klang eher erstaunt. Die Augen hatte sie geöffnet. Sofort verliebten wir uns in diese Augen, die, obwohl sie so klein sind, doch die Unsterblichkeit bedeuten. antjen am 24.06.03 |