
die Hausfrau und die Trauerfälle

Ein weiterer Grund, länger nichts Neues zu schreiben, waren die Trauerfälle,
die zwei Jahre lang in beängstigender Dichte auf mich einprasselten und mir
das Gefühl vermittelten, eine ziemlich dämliche Rolle in einer dussligen Soap-Opera
ergattert zu haben.
Den Anfang machte ausgerechnet einer meiner besten Freunde, nämlich mein Vater,
der mit dem Flugzeug in Frankreich abstürzte.
Das ist sehr sehr Soap-Opera, nicht wahr?
Die Art Ableben, wie man sie aus Dallas, Denver oder meinetwegen der Lindenstraße kennt,
aber doch nicht im
echten Leben.
Damals hätte ich ein
Neues nach dem anderen schreiben können, denn bei
aller Trauer über den Verlust, setzte eben auch das ein, was geschieht, wenn
man sich intensiv mit einem Menschen beschäftigt, der das Leben zu leben wusste
und man sich nebenbei auch noch mehrsprachig durch einen höchst komplizierten
Behörden-Dschungel schlagen muss.
Mein Vater war ein Macher, ein Tuer, ein Organisierer, Planer und Umsetzer, ein
Rechthaber, ein gelegentlich rotköpfiger Choleriker. Erinnert sich noch jemand
an das HB-Männchen?
Vermutlich wäre er unerträglich gewesen, wäre da nicht auch seine Großzügigikeit,
sein Humor und seine Energie gewesen. Die Wochenenden bei ihm fehlen mir
unendlich. Morgens bekam ich meinen Milchkaffee ans Bett gebracht. Eine so
liebevolle Geste, die aber gerne 1 - 3 Stunden später hätte erfolgen können ...
Der Rest des Tages war immer prall gefüllt mit Kultur, Bewegung, gutem Essen
das aber mit kritischem Blick auf meine wuchernden Hüften serviert wurde.
Jede Minute wurde gnadenlos gefüllt und gab es Anzeichen der Erschöpfung, kam
halt der Punkt:
"35 Minuten Siesta" in den Tagesplan.
Nach exakt 35 Minuten brachte mein Vater, der Unermüdliche, dann den nächsten Kaffee,
damit man wieder fit war für die restlichen Tagespunkte.
Abends mixte er mir eine "White Lady". Leider hat er mir nie verraten, woraus
sie eigentlich besteht.
Glücklicher Weise hatten wir gerade eine sehr friedfertige Vater-Tochter-Phase,
als er aus meinem Leben stürzte. Und immer, wenn mich dieses Bild zu arg
verfolgt, kommen mir seine Worte über Flugzeug-Abstürze in den Sinn.
Jahre zuvor ist er nämlich bereits einmal, aber deutlich glimpflicher abgestürzt
und unseren Schrecken darüber wischte er mit einer wortreichen Begeisterung
vom Tisch.
Wenn er mal sterben müsste, dann bitte bei einem Flugzeugabsturz, denn er selbst
hatte gar keine Zeit für Angst gehabt, so beschäftigt war er damit, den Absturz
noch zu verhindern. So voller Adrenalin, dass er noch am Boden angekommen mit
diesen Maßnahmen beschäftigt war.
So begeistert, dass er seine beschädigte Brille und Uhr in einer Vitrine
aufbewahrte. Erinnerungsstücke, die ich dann nicht ohne Bitterkeit und Ironie
entsorgte.
Wir haben uns leidenschaftlich gestritten, wir zwei. Es gab Jahre, da endeten meine
Besuche nahezu zwangsläufig türenknallend und er ist einer der ganz wenigen
Menschen, die ich im Verlauf eines Streits sogar anbrüllte. Er hatte so etwas
an sich, das einen vor Wut auf der Stelle hüpfen und toben ließ.
Ich bin jahrelang nicht mit ihm in einem Auto gefahren und gehöre nun zu den eher
wenigen Menschen, denen sentimentale Tränchen und liebevolle Erinnerungen
aufsteigen, wenn sie von einem wild links blinkenden Mercedesfahrer auf der
Autobahn bedrängt werden.
Hach ja ...
Um meinen Vater zu beerdigen, mussten wir ihn erst einmal aus dem Französischen
Jura nach hause holen. Das Französische Jura ist wunderschön. Wirklich wunderschön.
So traurig der Anlass der Reise war, so schön, so wunderschön war es dort.
Ich war oft mit meinem Vater unterwegs, habe mit ihm die USA, Mexiko und auch
Frankreich besucht. Zuletzt sind wir in die Bretagne geflogen. Und so war ich es
gewohnt, schöne Ecken dieser Welt mit und durch ihn kennenzulernen.
Eigentlich ein schöner, ein passender Abschied, mir nun auch noch das Französische
Jura zu zeigen.
Es gab einiges zu erledigen, so dass wir einige Tage dort
waren.
Nein, die Absturzstelle habe ich nicht besucht, werde ich auch nicht.
Im besten Fall finde ich dort nämlich gar nichts und im schlimmsten, irgendwas.
Kleine Informationsbrocken, wie der, dass er nicht in den Wald, sondern eine
Lichtung gestürzt ist, haben mich schon sehr sehr aufgewühlt.
Eine Lichtung?
Dann war es vielleicht eine missglückte Notlandung?
Wir werden es niemals
erfahren.
Ich habe viele Nächte googelnd verbracht und bestenfalls nichts Neues
entdeckt, denn alles Neue tat dann doch nur weh.
Irgendwo stieß ich auf
ein französisches Piloten-Forum, dessen Teilnehmer auch den Absturz meines Vaters diskutierten.
Jemand mutmaßte über die fliegerischen Fähigkeiten meines Vaters und ich danke
noch heute für das nachfolgende Posting eines besonneneren Menschen, der dem
ersten damit über den Mund fuhr, dass er nichts Genaues wüßte und aus Rücksicht
auf evtl. mitlesende Angehörige nicht so einen Mist schreiben sollte.
Vielleicht erklärt das mein manchmal überbetulich wirkendes Eingreifen, wenn
in unseren Foren irgendwelche Dramen Dritter diskutiert werden?
Irgendwann mussten wir dann in ein Taxi zum Krematorium steigen.
Eigentlich hätte die Fahrt nur traurig sein können, aber uns wurde ein Taxi-Fahrer
geschickt, der auf Teufel komm raus plaudern wollte.
"Krematorium? Ah, jemand, den Sie kennen?"
Da saß ich also in seinem Taxi, in schwarzen Klamotten, einen Blumenstrauß in
der Hand und roten Augen im bleichen Gesicht und konnte es mir aber doch nicht
verkneifen "nein, nein, wir schauen nur mal so, was heute läuft!" zu antworten,
was uns dann den Rest des Weges kichern ließ.
Am nächsten Tag dann die Ordnungswidrigkeit: Urnenschmuggel.
In Deutschland dürfen Urnen nur von Bestattungsinstituten und der Post befördert werden.
Der Postweg ist das Normale bei solchen Entfernungen.
Schlecht, wenn einem noch die Schlagzeilen um Helga Feddersens Urne in
Erinnerung sind, die nämlich auf dem Postweg verloren ging.
Die Sache mit dem Postweg stößt vielen übel auf und in den letzten Jahren habe
ich noch mehr Menschen kennengelernt, die sich des
Urnenschmuggels
schuldig gemacht haben. Wird man erwischt, passiert übrigens meist gar nichts.
Außer man kommt aus Holland - da kann einem drohen, dass eifrige Zollbeamte
die Urne
durchsuchen ...
Ja, das hier ist ein sehr persönliches
Neues und hat den jahrelangen Abstand
gebraucht. Mittlerweile bin ich mit dem Tod meines Vaters versöhnt.
Er hat das Altern tief und innig gehasst, war der jüngste "über 60er", den
man sich denken kann. Als der Tag seines eigentlich 70. Geburtstags kam,
musste ich grinsen. Er hätte alle, wirklich alle Feierlichkeiten rund um
diesen Tag schauderhaft gefunden und so kann ich es nun schön finden, dass
er damals, kerngesund aus diesem Leben gestürzt ist.
Jeder trauert und ehrt das Andenken an Verstorbene anders.
Ich zB lebe seither sehr "jetzt". Das Leben, das ist hier und jetzt.
Genau jetzt
und nicht später.

