
der natürliche Feind einer Mutter

Mein Töchterlein hat, kaum hatte sie ein Brüderchen, spontan beschlossen, ganztags im
Kindergarten zu bleiben. Dort spielt sie mit Gleichaltrigen, schminkt und verkleidet sich in der
Kostümecke, baut aus einem schier unendlichen Vorrat an Bastelmaterialien Kunstwerke, tobt auf
dem Kindergartenspielplatz herum oder oder oder...
Dort muß sie nicht leise sein, weil ein kleiner Bruder schläft, dort muß sie nicht
an Einkaufsregalen vorbeizuckeln, mir beim Waschen,
Bügeln oder Putzen zuschauen und
kein kleiner Baby-Bruder reißt ihr alles aus den Händen, womit sie sich gerade beschäftigt.
Zumindest greifen in solchen Fällen Kindergärtnerinnen ein, die sie nicht
nebenbei,
sondern hauptberuflich betreuen.
Wobei ich das durchaus könnte, denn ich befinde mich derzeit im Erziehungsurlaub und könnte
nonstop um sie herumglucken.
Aber ich gebe es schon zu: ich bin nicht traurig, daß sie so gerne im Kindergarten ist.
Ja, ich geniesse die Stunden ohne meine Kinder so bewusst, daß ich
mir zusätzlich sogar noch häufig unsere Babysitterin
gönne und dann mit dem
besten aller Göttergatten oder mit Freunden etwas unternehme.
Nun wäre diese Geschichte schon am Ende, denn mit dieser Lösung sind alle Beteiligten
glücklich. Ja, ich wage es kaum zuzugeben, aber die Kinder mögen ihre Babysitterin,
die mit ihnen durch das Gelände robbt, an in Sekundenschnelle geputzte Zähne glaubt,
am liebsten
Spaghetti kocht und im Fernsehen gelegentlich bei den Simpsons hängenbleibt,
statt zur Sesamstrasse zu finden. Die Natur verabscheut derartige Glücks-Zustände aber,
da sie zu einer Überpopulation führen würde. Vermutlich wären die Strassen bald
verstopft von glücklichen, ausgeglichenen Müttern. Nun böte sich als natürlicher
Feind eine Herde Elefanten oder ein gut gebauter Löwe an - aber der Anblick mütterlicher
Überreste wäre nicht fein. So hat die Natur sich für Mütter eine wahrhaft geniale
Feind-Lösung ersonnen:
der natürliche Feind einer Mutter ist eine
gute Mutter. Entweder bekommt man durch ihre
blosse Anwesenheit schon ein schlechtes Gewissen, oder sie hilft sanft nach.
So traf ich unlängst ein ausgewachsenes Exemplar
gute Mutter im Supermarkt. Ihr Kindergartensohn
drosch gerade wütend mit einer Banane auf seinen Baby-Bruder ein, der in dem neckischen Spielauto-Einkaufswagen
sitzen durfte, weil er noch so klein ist. Dem Gerechtigkeitsgefühl des älteren Bruders
schwebte ein
einmal er, einmal ich vor. Eben, im Kindergarten war die Welt auch noch so gestrickt.
Aber nun, zurück in der mütterlichen Obhut, ging es nicht mehr um Gerechtigkeit. Jetzt war
er groß und vernünftig -
ob er nun wollte oder nicht.
Oliver stieg in das andere Auto, klappte die Tür zu und mußte nun nicht mit Bananen-Prügel
rechnen, da seine Schwester weit weg im Kindergarten weilte. Die Prügel bekam dafür ich.
Vermutlich hatte ich einfach zu entspannt gewirkt - vielleicht so, als würde ich unter solchen
Bedingungen noch den einen oder anderen kleinen
Enning auf die Welt bringen?
Oh, es bricht mir ja jedesmal das Herz, wie traurig Michaela guckt, weil sie noch im Kindergarten
bleiben muß, wenn ich mittags meinen Sohn abhole.
Jetzt hätte ich betroffen gucken sollen! Tat ich aber nicht. Ich gebe zu, ich überlegte,
ob sie ein Alkoholproblem plagt und ihre Wahrnehmung trübt, denn sie kennt unsere zähen Verhandlungen mit Michaela nicht,
wenn wir sie gelegentlich schon einmal mittags abholen wollen. Zweimal die Woche konnten wir mühsam
durchsetzen - einmal für die Ballettstunde und einmal, zum wöchentlichen Besuch auf dem
Bauernhof meiner Schwester. Ansonsten brauche ich gar nicht vor 4 Uhr zum Kindergarten zu kommen.
Aber gut, es ging weiter:
Wenn ich schon sehe, was die den Kindern dort für Mahlzeiten vorsetzen...
Ich erwog, mir von ihrem Sohn die Banane auszuleihen und ihr auf die Nase zu schlagen, verwarf den
Gedanken aber wieder, lächelte hold und wand mich mit 2 Floskeln zwischen ihr und den Regalen
hindurch.
Was mich an meinem
Mutterdasein am ehesten stört, ist das Gefühl, plötzlich
zu einer Gemeinschaft zu gehören, die nichts weiter verbindet als die erfolgreiche Reproduktion.
Ein aus dem Nichts gegriffenes
Wir. Und das mir, wo mir jede Art Clique oder Verein eigentlich
suspekt ist. Ich bin ich, bin ich, bin ich - neee, ich bin eine Mutter und dem habe ich mich zu
beugen. Im Kleinen kann ich den Aufstand proben und alle Produkte boykottieren, deren Zielgruppe ich
eigentlich angehöre. (die Extraportionen Milch, Vitamin C und Calzium - und Rama! - würde ich
nie, nie, nie kaufen!)
Es ist schon demütigend genug, einen neckischen Einkaufswagen in Autoform herumschieben zu
müssen, um kein kleines Kinderherz zu brechen.
Weshalb ich Cliquen nicht mag?
Wegen der meist absurden internen Regeln, die wenig individuell auf die Mitglieder zugeschnitten sind.
Im großen
Wir der Mütter ist
Mutterliebe so aktuell, wie Nabel-Piercings
in den deutlich jüngeren und kinderfreieren Kreisen. Wobei der Begriff aber weniger mit
Zuneigung zu tun hat, als mehr eine
Anwesenheitspflicht darstellt.
Die
guten Mütter stellen zwar eine ernsthafte Bedrohung des normal- bis rabenmütterlichen
Gewissens dar, aber mit den Jahren lernt man dazu und kann schwerwiegendere Verletzungen durch
äussere Anpassung verhindern.
Nach dem einwöchigen Wales-Urlaub im letzten Jahr zB fragte mich eine ganz besonders gute Mutter
hast du deine Kinder nicht wahnsinnig vermisst???
Als erfahrene Rabenmutter (noch dazu als sehr erholte, erfahrene Rabenmutter), erkannte ich die
Gefahr sofort und bannte sie mit einem:
doch ja, sehr - es war schlimm!
Wichtig ist dabei nur, daß man betroffen guckt und
nicht kichert!
Ausserdem muß man einen Sündenbock bereithalten. Hätte sie nun die Frage gestellt,
weshalb ich dann überhaupt ohne Kinder verreist bin, wäre die lebensrettende Antwort ein
vages
Mein Mann... gewesen.
Denn: Männer haben in ihren Bedürfnissen absolute Narrenfreiheit!
Wir wissen doch, wie Männer so sind - deshalb heißt das schliesslich auch
Mutterliebe!