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Hausfrauenseite -> Kinder -> Schulkinder -> Kinder- und Jugendpsychiatrie

 

Ein Sommer voller Ängste
Meine Tochter in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

- eine Reportage

 

Kein Ort schien meiner Tochter mehr sicher genug. Angst vor Versagen, Angst vor lauten Geräuschen, Angst vor Ersticken, Angst vor einer schweren Krankheit, ... Was war zuerst da: die Angst vor Blinddarmentzündung oder die Übelkeit? Jedenfalls verlor mein neunjähriges Mädchen ziemlich an Gewicht. Worte der Ermutigung und der Beruhigung waren bloß Futter für neue Ängste. Kaum schien ein Problem bewältigt, tauchte ein neues auf. Wie Berge standen sie vor ihr. Irgendeinmal gelang es uns Eltern nicht mehr, sie aus den Ängsten heraus in die Sicherheit zu führen.

Wir suchten Hilfe und fanden sie im Gespräch mit einem Kinderpsychiater im Landeskinderkrankenhaus. Er empfahl Leonie, ein paar Tage auf der Station zu verbringen. Nie im Leben würde sie dort ohne Mama sein können, weinte sie, und flüchtete in meine Arme. Der Arzt erzählte ihr vom Alltag auf der Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie, zeigte ihr die Station, und dann entschied Leonie: "Ja, ich glaube, das ist das richtige für mich." Als wir bei der Ambulanz der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf das Arztgespräch gewartet hatten, erzählte ich Leonie, welche Kinder hinter der verschlossenen Tür der Station Hilfe und Unterstützung fänden. Keinen Gedanken hatte ich daran verwendet, dass ein Aufenthalt auf dieser Station auch für meine Tochter ein Weg aus der Angst sein könnte. Nun würde ich täglich die Glocke betätigten, um meine Tochter zu besuchen.

Leonie auf der Station für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Landes-Kinderkrankenhauses. Sie fühlt sich wohl dort, integriert sich schnell. Die Konfrontation mit den Problemen anderer Kinder erfüllen sie mit Neugier: Autismus, Magersucht, Autoaggression, ... . Leonie schließt neue Freundschaften. Das Leben auf der Station ist keine Welt außerhalb unserer Gesellschaft. Sie ist eine Gasse einer großen Stadt, in der ganz besondere Menschen wohnen. Eine Station für Kinder, die einen neuen, oder auch nur überarbeiteten Fahrplan und Proviant für die Reise in die Zukunft brauchen . Der Weg zur Station wird zum Ritual, bekommt etwas sehr Vertrautes und in meiner Wahrnehmung verändern sich Farben, Formen und die Töne.

Hinter jedem Kind, dem ich auf der Station begegne, glaube ich Eltern mit ihrer Ohnmacht, Unsicherheit und Hoffnung auf Hilfe zu sehen. Vermutlich bin ich nicht allein mit meinen Zweifeln, ob der stationäre Aufenthalt die richtige Entscheidung ist. Sicherlich bewegen sich auch ihre Gedanken zwischen Schuldgefühlen und Rechtfertigung. Erklärungen werden gesucht und mit dem Psychologen besprochen. Da Leonie nach 10 Tagen sich stabilisiert zu haben scheint, holen wir sie nach Hause. Nach einem einwöchigen Aufenthalt daheim kehrt Leonie mit neuerlichen Angstzuständen zurück auf die Kinderpsychiatrie. Ein Besuch bei unserer Tochter einen Tag nach der zweiten Aufnahme bestürzt uns Eltern sehr. Sie zieht sich vor uns zurück, und wir kommen uns auf der Station vor wie Eindringlinge, die man hier nicht braucht. Da stehen wir am Hinterausgang und starren an die Wand. Wo führt die Krise unseren Liebling hin? Wie und wann wird die Nähe, die ich so sehr vermisse, wieder möglich sein? Dies und vieles mehr frage ich mich.

Mit meinem Mann verbindet mich unter anderem eine gute Gesprächsbasis. Wir kommen nicht umhin, Leonies Verhalten und ihre Angstsymptome auch im Zusammenhang unseres Familiensystems zu sehen. Überdies sind wir damit beschäftigt, mit der Krise unserer Jüngsten einen sicheren Umgang zu finden. Unsere zwölfjährige Tochter versucht auf ihre Art, die Situation gut zu meistern. Neben den fast täglichen Besuchen bei ihrer Schwester pflegt sie ihre Freundschaften und genießt es auch, uns Eltern vor allem an den Abenden für sich alleine zu haben. Freunde, Nachbarn und Verwandte fragen nach Leonie. Wie mit ihnen über ihre Probleme reden, ohne Leonies Persönlichkeit all zu offen zu legen? Inwieweit kann ich beeinflussen, was Menschen aus dem machen, was ich ihnen anvertraue? Kann ich jemanden sagen, dass Leonie nicht heim will, weil sie befürchtet, hier wieder mit ihren Ängsten konfrontiert zu sein? Welche Bilder unserer Familie entstehen? Ein Kind mit psychischen Problemen - wird da nicht rasch eine Antwort gesucht, zusammengebastelt aus Beobachtungen, Interpretationen und Übertragungen? Es soll mir gleichgültig sein, was andere denken. Ist es mir nicht.

Psychologe und Arzt finden nach eingehenden Beobachtungen keine Diagnose für unsere Tochter. Es lässt sich eben nicht jedes Verhalten und jede Störung der menschlichen Seele in eine Schublade schieben. In einer Atmosphäre der Offenheit sind die Gespräche mit dem Fachpersonal erleichternd und konstruktiv. Der klinische Psychologe rät mir, den Anspruch als Mutter, den Kindern aus jeder Not helfen zu müssen, fallen zu lassen. Ich brauche eine Weile, um zu begreifen. Nicht immer ist es einfach für mich, Hypothesen und geplante Interventionen anzunehmen. Ich zweifle wieder, sehe manche Dinge anders. Ich bin doch die Mutter und glaube mein Kind zu kennen ... Schließlich finden wir doch immer zu einer Übereinstimmung für eine gemeinsame Basis der Zusammenarbeit.

Nach insgesamt zweiundzwanzig Tagen stationären Aufenthalt brechen wir zu unserem Familienurlaub auf. Auf dem Weg dorthin öffnet Leonie das Autofenster und bläst ihre Ängste hinaus. Die sollen nicht mitkommen nach Kroatien, meint sie. Nicht alle haben sich sofort verflüchtigt. Nach ein paar Tagen tauchten sie unter im Meer, als Leonie mit den Fischen um die Wette schwimmt und vom Felsen ins Wasser springt. Die Lust siegt über die Angst.

Wir leben wieder unseren Alltag. Leonie spielt mit den Nachbarskindern und liebt es, von Mama oder Papa durch gekitzelt zu werden. Die Schwestern streiten auf Teufel komm raus und schlafen nachts gemeinsam in einem Bett. Die beiden gehen zur Schule und stellen sich den Herausforderungen. Ich habe wieder zu meiner Sicherheit als Mutter zurückgefunden, die sich auch eingestehen darf, nicht für alle Probleme ihrer Kinder ein Rezept zu haben. Leonie lernt, mit ihren Ängsten umzugehen. Täglich kommen welche und gehen wieder. Im Moment erscheint ihr keine unüberwindbar. Wenn Leonie von ihrer Zeit auf der Station der Kinder- und Jugendpsychiatrie spricht, dann erzählt sie über die Erlebnisse wie aus einem Ferienlager. Sie hat die Krise in ihr Leben integriert und ist mit ihr gewachsen. Im Vertrauen auf ihre starke Persönlichkeit bin ich sicher, sie wird selbstachtend auf den Sommer voller Ängste zurückschauen und sich sagen:
"Ich habe gegen die Angst gekämpft - und ich habe gewonnen."

ausdrücklich ohne Namen, am 09.10.10

 

 



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