Fast reif für den Zirkus
Im Foxo steht das Gras wieder so hoch, dass die Pferde etwas zu futtern haben.
Gute zwei Monate mussten sie zuhause bleiben, nur auf der Koppel beim Haus. Und
da wuchs wirklich auch nichts mehr. Aber nun ging es wieder los. Ich freute mich
schon darauf. Am ersten Tag waren sie ungebärdig, aber sie merkten, wohin es ging.
Fast rissen sie mich mit, so schnell wollten sie auf ihre Koppel. Am Abend aber
wollte Sinda nicht zurück. Anxie und Lukas liessen sich brav an das Seil nehmen,
Sinda wich immer wieder aus. Am ersten Tag wollte ich ja nicht unbedingt streng
sein, also liess ich sie frei hinterher laufen. Es klappte ganz gut, sie war nur
eben schneller zuhause als wir.
Bei Sánchez, in der Dorfkneipe, werden sehr wichtige Themen diskutiert und
behandelt. Wer denn nun der beste Spieler von Deportivo sei. Wer denn nun der
nächste Papst werde. Wie lange der Zug braucht, um von Ortigueira nach Ferrol zu
fahren, und von dort nach Coruña (laaaaange). Lolo läst seine Kühe nur noch mit
"Alzúl Belga" besamen, weil das die besseren Fleischtiere gibt. Lentes sei sehr
krank, er wolle nicht mehr essen, seit seine Frau gestorben ist. All das sind sehr
wichtige Dinge, über die muss man reden. Mein Mann redet auch mit, sofern er
versteht, was die anderen in ihrem fürchterlichen Kauderwelsch zwischen Gallego
und Castellano erzählen. Und so hat Lolo zu meinem Mann gesagt, dass er auf mich
aufpassen solle. Das sei gefährlich, wenn eine Frau so alleine mit drei Pferden am
Seil so weit gehen müsse. Das könne nicht sein. Ausserdem seien unsere Pferde sehr
wohlgenährt und hätten somit viel Kraft. Man müsse ihnen unbedingt eine "Freno"
(Bremse, aber eigentlich ist das ein Sammelausdruck für alle die Vorrichtungen,
die man den Pferden zwischen die Zähne steckt, um sie zu lenken) anlegen, sonst
passiere noch ein Unglück. Mein Mann erklärte Lolo und den anderen, dass das bei
uns nicht notwendig sei, denn die Pferde werden mit Liebe zum Gehorsam erzogen.
"Jaaa, deine Frau ist halt stark, das ist gut," war dann wohl der abschliessende
Kommentar.
Glaubt hier jemand an Telepathie? Haben Pferde diese Fähigkeit? Also, seit dem
Sonntag bin ich davon überzeugt.
Es stürmte schon den ganzen Tag. Zwischendurch fetzte ein Sprühregen über die
Felder. Am Morgen waren meine drei Ungetüme verhältnismässig brav mitgegangen. Ich
habe aus einem Seil ein "Auge" geknotet, daran sind drei Seilstücke mit einen
Karabinerhaken am Ende. Daran werden die Pferde festgemacht. Und so führe ich sie
herum. Ausser den normalen kleinen Rempeleien und Flegeleien war nichts
Ausserordentliches passiert. Wir kamen im Foxo an, ich ging wieder nach Hause. Der
Wind pfiff mir um die Ohren, die Telefondrähte bei Laureanos Haus sirrten. Ich
verkroch mich im Haus. Nein, das war kein schöner Frühlingstag. Aber auch der
verging, und so gegen sieben Uhr nachmittags machte ich mich wieder auf den Weg,
die Pferde heim zu holen.

Ich merke es jeweils schon von weitem. Sie waren unruhig. Normalerweise stehen sie
am Einlass und warten auf mich. Dieses Mal rannten sie noch herum. Lukas tänzelte
um Sinda herum, Sinda schlug mit den Hinterbeinen aus. Als ich dort ankam, wartete
nur Anxie auf mich. Lukas konnte ich am Stallhalfter nehmen und ebenfalls an sein
Seilstück einklinken. Sinda wollte nicht. Alles Zurufen, mich Annähern,
Schmeicheln, Schimpfen nützte nichts. Sie kam bis auf Armeslänge heran. Wenn ich
die Hand ausstreckte, rannte sie davon und drehte zwei oder drei Runden.
Na gut. Wenn du nicht willst, bleibst du eben über Nacht hier. Kein ruhiger Stall.
Kein Stroh. Kein "Sackfutter". Du wirst schon sehen, was du davon hast.
Ich liess mich doch von einem Pferd nicht für dumm verkaufen. Ich nahm Lukas und
Anxie und ging mit ihnen davon.
Zehn Meter. Dann drehten sich beide ruckartig um und ich fiel beinahe hin. Sie
wollten nicht ohne Sinda gehen. Diese stand am verschlossenen Einlass und schaute
uns nach. Ich zerrte am Seil, und wir schafften weitere vierzig oder fünfzig
Meter. Sinda wieherte. Die Beiden machten einen Satz zurück. Ich fiel auf die
Knie. ABER ich liess das Seil nicht los. Ich keuchte und schnaufte, schimpfte und
schmeichelte. Ich stand wieder auf, und wir schafften wieder einige zehn Meter.
Wie lange doch so ein Feldweg sein kann. Ausserdem ist da links und rechts ein
Graben, der Weg selbst mit Wasser gefüllten Schlaglöchern übersät. Ich stolperte,
zerrte am Seil. Die beiden Unfläte zerrten ebenfalls, sie drehten sich. Und
plötzlich war ich mit dem Kopf zwischen den beiden Hinterteilen eingeklemmt, weil
sie sich in entgegengesetzter Richtung um die eigene Achse gedreht hatten.
Sinda wieherte.
Lukas stellte sich auf die Hinterbeine. Ich wehrte mich mit den Ellenbogen und
schaffte es auch tatsächlich, beide Pferde wieder in die von mir gewünschte
Laufrichtung zu drehen. Mittlerweile hatte ich das Gefühl, mein Arm sei mehrere
Meter lang. Wir kamen dann doch noch bei der Wegegabelung an und drehten ab in
Richtung Leixa. Und da ging das Karrussell wieder los. Verbissen hielt ich das
Seil fest. Nein, ich liess es nicht los. Das wäre ja noch schöner, wenn ich mich
da unterkriegen liesse. Ich duckte mich unter dem Seil durch, um wieder an die
"Kopfseite" der Beiden zu kommen. Lukas versuchte, mich zu beissen. Er bekam
einen Nasenstüber. Er weiss haargenau, dass er nicht schnappen und beissen darf.
Ein Stück weiter des Weges kam uns ein Paar entgegen. Sie schauten mir auf
Distanz zu, dann gingen sie weiter, drehten sich aber immer wieder um. Ja, die
hatten gut lachen.
Und so gelangten wir endlich zur Einmündung in die asphaltierte Strasse. Nun ist
"Strasse " ja eine grossartige Bezeichnung für das, was sich da so zwischen den
Feldern hinzog. Aber immerhin ist der Belag gut. Normalerweise gehen die Pferde
ab hier ruhiger. Der feste Boden scheint ihnen zu gefallen. Und so liess meine
Wachsamkeit wohl etwas nach. Kaum auf dem Strässchen, rissen die Beiden am Seil.
Ich sass unvermittelt auf dem Hosenboden, und die Zwei galoppierten davon,
Richtung Fornelos. Ich schaute ihnen zu. Was sollte ich schon anderes tun. So
wartete ich halt, bis sie wieder zurück kamen. Oder kommen sollten. Ich sah sie
hinter einer Hecke verschwinden. Dann sah ich Rinder rennen, Anxie und Lukas an
ihnen vorbei. Sie drehten um und kamen wieder in meine Richtung gerannt. Auf der
Höhe der Einmündung in den Feldweg bremste Anxie und Lukas rutschte aus und fiel
hin. Ich dachte schon, dass nun meine Chance gekommen sei. Weit gefehlt. Lukas
war sofort wieder auf den Beinen. Es ging im Galopp weiter Richtung Foxo.
Resigniert ging ich hinter ihnen her. Von weit her sah ich, dass sie am Zaun
standen, Sinda auch. Sie rieben die Nasen aneinander. Ein Mann, der auf einem
benachbarten Feld arbeitete, legte das Seil der beiden Ausreisser über einen
Zaunpfahl. Kurz bevor ich ankam, hörte ich ich hinter mir den Motor unseres
Autos. Mein Mann kam mich suchen. Zum Glück hatte er den Sack mit dem trockenen
Brot mitgebracht.
Erst musste ich mal verschnaufen. Dann lockte ich Sinda mit einem Stück Brot. Es
ging ganz einfach. Ich führte sie zum Einlass, mein Mann führte die anderen
beiden auf der anderen Seite des Zaunes ebenfalls zum Einlass. Sinda liess sich
ans Seil nehmen. Wir trotteten alle Vier friedlich nach Hause. Ganz so, als wäre
überhaupt nichts geschehen.
Lolo hat ja gesagt, ich sei eine starke Frau. Sinda, Lukas und Anxie wollten
das wohl überprüfen. Die Nummer war fast reif für den Zirkus.
Aber als Lachnummer.