03.07.1997
Da ist sie, die 30 und mein erster Gratulant sagt nur äh, äh, äh , während er heftig an seinem
Fäustchen nuckelt. "Mami hat Geburtstag", sage ich, während ich ihm den Popo abwische und eine neue
Windel anlege. Ich gieße mir Fencheltee in die Tasse und denke daran, wie ich mir meinen 30. Geburtstag
mal ausgemalt hatte. Eine rauschende Party, Champagner und ich in einem betörenden Outfit.
Nun, betörend sind weder das Nachthemd mit der langen Knopfleiste, noch der Still BH,
aber trotzdem hat der Augenblick seinen Charme. Oliver nuckelt zufrieden an meinem Busen und ich
denke an seinen 30. Geburtstag. Wenn ich Glück habe, stehen er und Michaela dann mitten im Leben.
Wow, dann werde ich schon 60!
Das ist zu weit weg - realer scheint mir da mein 40. Geburtstag. Michaela ist dann 13 und vermutlich mitten
in der Pubertät. Als ich in dem Alter war, schwor ich, daß ich nicht so eine unerträgliche Mutter sei. Meine
Tochter dürfte sich ruhig eine Dauerwelle machen lassen, Ohrlöcher stechen lassen und abends nach
21 Uhr nach hause kommen. Dazu stehe ich heute noch - Dauerwelle und Ohrringe, so weit reicht mein
Verständnis locker, aber mir graust, wenn ich sehe, was die Kids heutzutage anstellen. Ich weiß, was es
bedeutet, wenn ich bei dem einen oder anderen Remake alter Lieder schmerzlich zusammenzucke,
wenn mir angesichts eines Rings in einer Augenbraue oder einem Bauchnabel übel wird und ich dieses
seltsame Gehopse in der Disco affig finde.
Es bedeutet nicht, daß die Kids eine Macke haben. Es bedeutet schlicht, daß ich nicht mehr dazu gehöre.
Die ganzen Jahre, die mit einer 2 anfangen, lullen einen ein - natürlich ist man noch jung. Hat man nicht gerade
erst den Führerschein gemacht? Gerade erst die Ausbildung beendet?
Und dann plötzlich kommen die hohen Zahlen. Beste Freundinnen sagen plötzlich unfassbare Dinge, wie
"weißt du, daß wir schon 20 Jahre befreundet sind?". Mit etwas Mühe begreife ich auch, daß ich nicht
frisch verheiratet bin - nein, wir haben völlig unbemerkt schon das verflixte siebte Jahr begonnen und
vor lauter Warterei auf Oliver beide den Hochzeitstag verpennt.
Eine leichte Gänsehaut bekomme ich bei dem Gedanken, daß die Jugendlichen im Moment die Augenbrauen
und Bauchnabel durchstechen - wer weiß, wo sie sich durchbohren lassen, wenn Michaela in das Alter kommt,
sich gegen uns aufzulehnen!? Leise grüble ich, ob ich nicht vehement die Dauerwelle verbieten sollte, damit
sie es schon als Sieg empfindet, wenn ich sie dann doch erlaube.
Ne, sie ist nicht blöd, das Manöver würde sie vermutlich jetzt schon durchschauen.
Eine Hoffnung habe ich - daß sie bis dahin etwas gegen Aids gefunden haben. Schon jetzt versuche ich mich
zusammenzureißen und trotz eigener äußerst prüder Erziehung ihre Fragen angemessen zu beantworten.
Noch ist es relativ einfach - aber das wird ja noch anders...
Was habe ich damals über meine Mutter gekichert, die mir 3 Jahre zu spät etwas über Monatsblutungen
erzählen wollte. Bis ich raus hatte, was sie eigentlich von mir wollte...
Dafür wollte sie mich 2 Jahre zu früh dazu bringen, mir die Pille verschreiben zu lassen. Nervig fand ich das -
und ausgesprochen peinlich. Nun, die Kinder werden immer früher reif und eine ungewollte Schwangerschaft
ist leider nicht mehr die unangenehmste Folge. Ich seh mich schon, wie ich ihr Kondome in die Schultüte
stopfe, damit ich damit nur nicht zu spät komme...
Oje, ob ich wohl auch ganz unauffällige Fragen stellen werde, um ganz unauffällig herauszufinden,
ob sie etwa Typen kennenlernt, die mit Drogen zu tun haben???
30! Carola, ganz ruhig - noch schockt sie eher mit "guck mal, ich kann bis in den Baum schaukeln!"
und Oliver trägt bisher nur mit seiner Verdauung zur Belustigung bei. Es gibt doch Unterschiede, ob man
ein kleines Mädchen oder einen kleinen Jungen bekommt. Michaela hat mir nie im hohen Bogen auf die
Füße gepinkelt...
Am Vorabend meines Geburtstags stand ich also vor zwei Betten. Erst bei Michaela, die neben all ihren
Teddies jetzt auch noch einen kleinen Oberschlumpf mit ins Bett nimmt - und dann kurz bei Oliver, der
bisher ohne Stofftiere und Schnuller auskommt. Dafür hat er eine Handtuchrolle im Rücken, damit er schön
auf der Seite liegen bleibt. Immer wollte ich 2 Kinder haben - und da sind sie nun. Wie die Legofamilie
komme ich mir vor - Mama, Papa, ein Mädchen und ein Junge.
Nein, ich denke die 30 kann mich nicht schocken!