
Ein echter Mann

Gelegentlich ist es aus Sicht einer hausfraulichen Emanze nicht ganz so einfach, einen Sohn zu haben.
In Sachen Tochter kann ich mich den Illusionen hingeben, sie zu einer starken Persönlichkeit zu
erziehen, oder zumindest ihrer starken Persönlichkeit nicht allzu sehr zu schaden.
Der starken Persönlichkeit eines kleinen Jungen steht man da schon skeptischer gegenüber, denn
schliesslich möchte man keinen Macho oder Pascha verschulden - derer gibt es genug und hier ist nun
die Chance, einen dieser sagenumwobenen
neuen Männer zu formen.
Sein Vorbild ist meist seine große Schwester und so trägt er zu meiner heimlichen Freude und
Felix unheimlichen Grausen gelegentlich Kleidchen, abgelegte Badeanzüge, Ketten, Haarspängchen
und hat Glitzerlack auf den Nägeln, den Michaela schwesterlich mit auf seine Finger kleistert,
wenn sie die eigenen auch gerade vermatscht.
Mein Mutterherz pocht und jubelt wild und niemals käme ich auf die Idee, ihm das Nachahmen der
weiblichen Rollenbilder zu verleiden und im Gegenzug meine Tochter für besonders männliches
Verhalten zu loben. Der beste aller Göttergatten hingegen kommt schon auf genau diese Ideen und so
streicht mein Sohn regelrecht Bestechungen für den Verzicht auf das herzige Ringelkleidchen ein,
bevor er mit seinem Vater loszieht.
Am ersten Januar versuchte ich mein Söhnchen mit hysterisch klirrender Stimme zu überzeugen,
daß er sicher keinerlei Probleme damit hätte, wenn ich ihm nun einen Klacks Creme
in
die Augen drücken würde, wie das unsere Augenärztin für den nächsten Morgen
wünschte. Einen Moment und somit ein Auge lang, fiel er darauf hinein, bis ihm und mir sehr klar
wurde, daß er nichts weniger wollte, als Creme auf seinen Pupillen. Dennoch schaffte ich auch das
zweite Auge mit der tückischen
aber schau mal, ich mache doch nur so:-Methode - er schaute,
ich drückte, er war sauer, aber die Creme dort, wo sie nun in Ruhe die Pupillen vergrössern
konnte.
Am nächsten Tag hatte ich zwei derart unquengelige Kinder im Wartezimmer und Untersuchungsraum,
daß ich eine Überraschung zusagte. Wobei eher ich überrascht werde und zwar mit
meist sehr plastikhaltigen Wünschen aus einem dieser höchst sinnlosen In-Läden mit billigen
Nachbauten höchst sinnloser In-Gegenstände.
Diesmal hatten sie dort Puppen in Biedermeierkleidchen mit Porzellangesichtchen, neckigen Hütchen etc.
Fast ärgerte mich, daß meine Tochter so eine affige Puppe wollte, bis ich den interessanten
Nebeneffekt mitbekam - ihr Bruder wollte auch eine Puppe - und mag es bei einem Mädchen auch eher
peinlich sein, so ist es bei einem Jungen ein förderungswürdiger Wunsch und wurde prompt
erfüllt. Ob wir jemals bei
aber Mädchen weinen doch nicht! ankommen?
Meine Kinder liebten ihre Puppen, ich liebte meine Kinder, den überstandenen Arztbesuch und den Kaffee,
den ich mir gerade aufschüttete, als mein Sohn kläglich brüllte.
Seine Puppe
war heruntergefallen und ihr Porzellangesicht vollkommen zerschmettert.
Mist, tatsächlich Porzellan - ich hatte es für Plastik gehalten ...
Soviel Elend konnte ich nicht mit ansehen, weshalb ich die Kinder ins Auto stopfte und zu einem
nahe gelegenen Spielwarengeschäft fuhr, um meinem Sohn eine unkaputtbarere Puppe zu kaufen.
Mein Sohn braucht eine Puppe, mein Sohn liebt weibliche Rollenbilder, mein Sohn wird ein niegelnagelneuer
Mann, der Frauen vollkommen selbstverständlich zu respektieren weiß ...
mein Sohn fand einen Autoschlepper mit Anhänger, mein Sohn wollte keine Puppe mehr