
kleine Weihnachtswunder

Weihnachten schafft es doch jedes Jahr ...
Mag man im Vorfeld noch so über Kommerzterror, Völlerei und Geschenkzwang stöhnen,
irgendwann schaut man in den Spiegel und erwischt sich mit einem seltsam vorweihnachtlich beseelten
Grinsen und dem Gedanken, ob man nicht allen Nachbarn noch kleine Nikoläuse selbst backen sollte.
Eigentlich sind sie doch alle schrecklich - lieb ...
Und es gibt kleine Sätze, Rituale, Traditionen, die, ob man will oder nicht, ihren ganz
eigenen Zauber entwickeln.
Am 23. geht Felix mit den Kindern los und kauft einen Weihnachtsbaum.
Und ich gehe noch einmal einkaufen, denn irgendwas haben wir immer vergessen. Am Kühlregal bin
ich eine Sekunde zu spät - eine Dame packt gerade die 7. und letzte Flasche Sahne in ihren Wagen,
schaut mich einen Moment lang an, gibt mir besagte 7. Flasche und wünscht mir frohe Weihnachten.
ein Wunder ... passiert doch sonst nie ...
An der Kasse gilt es eine Rechnung von 29,- DM zu begleichen und das ohne Bargeld. Ich habe noch
nie gefragt, wo die untere Scheckkarten-Schmerzgrenze liegt, aber ein aufgeräumt fröhlicher
Verkäufer verkündet, je niedriger, je besser, man wüßte ja nie, ob das Geld
wirklich eintrudeln würde.
Ich könnte ihnen da Sachen erzählen ...
Die Kundin hinter mir verkündet,
anständig zu sein und bar zu zahlen, worauf ich
freundlich andeute, sie bekäme angesichts ihrer Bonität vielleicht keine Karte?!
Auf dem Parkplatz patsche ich mir an die Stirn - Tomaten, vergessen ... und prompt begegnet mir
eine Nachbarin, die überhaupt kein Problem dabei hat, mir später 2 Tomaten vorbeizubringen.
ein Wunder ...
In dem Moment, als mir meine Beutel schwer erscheinen, kommt der beste aller autofahrenden Göttergatten
vom Getränkeladen, nimmt meine Beutel mit - ne, bei dem herrlichen Wetter möchte ich laufen -
und schlägt dann vor, vor dem Kino in eine Pizza-Hütte zu gehen.
Ich beschliesse, keinen Mucks über natürliche Aromen, Phosphate in der Limo, Glutamate, Kunstkäse
und und und zu sagen, sondern schlicht ein
Nichtkochen zu geniessen. An der Kinokasse möchte
mich die Kassiererin knutschen, weil wir nicht in Pokemon 2 gehen. Ein Saal für das Dschungelbuch
und 4 für Pokemon - schieres Glück, daß Michaela sie nicht mag.
Nach der Pizza und vor dem Film ist noch viel Zeit - Zeit für ein weiteres Weihnachtswunder,
denn wir rufen einen Freund an, der nicht nur geruht, ans Telefon zu gehen, sondern auch noch
Zeit, Kaffee, Milch und Nerven auf eine spontane Enning-Invasion hat.
Wir gehen zufuß und spötteln über jene, die im Saturn noch auf den letzten Drücker
Geschenke kaufen, als der sentimentalste aller Göttergatten einen Namen ächzt und
sich ins Gewühle stürzt.
Ein Weihnachtswunder zerre ich kurz darauf an den Haaren herbei, denn unser eher wunschloses
Söhnchen bricht vor einem Merchandising-Shop in Gejubel angesichts eines gelben Baggers aus,
was ich seinem nachkommenden Vater über das Handy mitteile.
Kurz darauf, komme ich in die Verlegenheit, Michaela zu erklären, was eine Demonstration ist.
Oliver hat gerade sein persönliches Weihnachtswunder - unzählige Polizeiautos und -motorräder,
Polizisten mit Funkgeräten und und und - kullerrunde Oliveraugen.
Ich erkläre Michaela mühsam, daß wir das Glück haben, in einem Land zu leben,
in dem man auf die Straße gehen und seine Meinung sagen kann - dafür ernte ich einen
dieser verständnislosen
Hä?-Blicke. Nur amerikanische Filmkinder verstehen die
Grundlagen der Demokratie auf Anhieb, weil auch nur amerikanischen Filmeltern spontan gute
Erklärungen einfallen.
stell dir vor, du fändest die Süßigkeiten zu teuer,
versuche ich es kindgerecht.
Dann könntest du eine Demonstration anmelden und ... - ach
schau mal, wir sind da - da ganz hoch wollen wir. Klasse Ablenkung - Michaela bricht spontan
in Tränen aus, weil Hochhäuser sehr hoch aussehen können, wenn man genau davor steht.
Das Dschungelbuch - wir schwelgten in Erinnerungen, Oliver verschlang Gummibärchen und
stellte ununterbrochen "was sagt der, was tut der, wann kommen wieder die Affen?"-Fragen, während
Michaela hinterher andeutete, der Film sei schon schön gewesen, nur so viele Tiere ...
Das war unser erster gemeinsamer Kinobesuch - und in vielen, vielen Jahren, werden sie den Film
soweit verklärt haben, daß sie mit dem Dschungelbuch auch ganz eigene Erinnerungen
verbinden.
Daheim holte ich die Gans aus dem Kühlschrank, während Felix die Kinder in die Wanne steckte,
wo sie vorweihnachtlich darüber zankten, wer zuerst wieder heraus müßte. Tote Gänse
können ziemlich eklig aussehen. Eine Weile starrte ich ihr ratlos in den Hintern, denn ich
vermisste den Beutel mit den Innereien. Bedeutete der fehlende Beutel, daß die Innereien
noch an ihren Plätzen waren und ich sie nun selbst entfernen müßte?
Ich sah nur weiße Klumpen, grübelte, wo die Galle wohl sein würde, wenn sie noch da
wäre, gab auf, badete das Gänschen gründlich, tupfte es wieder trocken und schob ihr
einige Stengel Beifuß in den Hintern.
Den Hals ignorierte ich verbissen, denn aus ihm ragte eine Art Schnorchel heraus, den ich irgendwann
kurzentschlossen mit der Küchenschere kappte. Sanft massierte ich Salz und Pfeffer in ihre Haut
und legte sie dann für eine halbe Stunde in den vorgeheizten Ofen. Als ich sie wieder vor
mir liegen hatte und mit der Pinzette Federkiele rupfte, klingelte das Telefon und ein frisch
gebackener Zwillings-Papi erzählte mir, daß sie pünktlich zu Weihnachten als
komplette Familie daheim waren. Leise Panik flackerte in seiner Stimme, aber er bemühte sich
durchaus, weihnachtlich zu klingen. Ich fragte, was mich immer schon interessierte - wie
Zwillingseltern eineiige Zwillinge auseinanderhielten.
ein Wunder???
Ach, das ist nicht weiter schwer - sie haben vom Krankenhaus so Klötzchen-Armbänder
mit ihren Namen bekommen ...
Als ich an meinem Gänschen keine weiteren Federreste mehr finden konnte, wünschte ich
ihm boshaft eine
stille Nacht und schob das Vieh wieder in den Ofen.
Die Kinderlein verschwanden ins Baby-Traumland und träumten von den Geschenken, die ihr
Vater und ich gerade in blau glitzriges Papier rollten. Jeder hatte eine Rolle Tesafilm, eine
Schere, eine Rolle
Geschenkpapier, einen Goldstift und ein Glas Chardonnay.
Einige Stunden und Gläser später, schafften wir alles in den Keller, würfelten
Lachs und Thunfisch - (absolut delphinverträglich gefangen) und machten uns ein
vorweihnachtliches Raclette. Eigentlich, eigentlich war Besuch aus Malaysia eingeplant,
aber der war nur bis Erlangen gekommen. It's a long way ...
Wir sind aber sehr zuversichtlich, daß sie in den nächsten Tagen auch noch den restlichen
Weg bewältigen ...
Was soll ich sagen?
Der 24. wird es nicht einfach haben, gegen den rundum schönen 23. anzukommen - und ich kann
mir nicht vorstellen, von der Gans auch nur einen einzigen Haps zu verspeisen ...