Alles Individualisten
Seit August hole ich meine Tochter von der Schule ab.
Gelegentlich bringe ich sie auch hin, aber da laufe ich noch halb auf
Autopilot und
bin jedes Mal verwundert, wenn ich wieder daheim bin, weil ich mich an den Hin- und Rückweg
kaum erinnern kann. Gelegentlich schaue ich noch einmal nach, ob ich Oliver tatsächlich gerade
im Kindergarten abgeliefert habe, oder er noch auf dem Rücksitz thront.
Nach diesem Kontrollblick stürze ich mich auf die Kaffeekanne, zünde mir eine Kerze an
und geniesse es, nicht nur einen Vormittag, sondern auch noch die Tageszeitung ganz für mich
allein zu haben.
Aufgefallen ist es mir also nachmittags.
Da ist eine Brücke, eine Eisenbahnbrücke, an der plötzlich die Botschaft:
Jenny, ich liebe dich! Mike
hing. Mit roten Herzen. Ein Bettbezug wohl mit Sprühfarbe beschriftet.
Wow! dachte ich und beneidete Jenny, bis es zu regnen begann und die Liebesbotschaft mit den
Tagen immer unansehnlicher wurde. Mike hatte die Botschaft zwar aufgehängt, aber damit
war es dann auch erledigt.
Nach 2 Wochen war ich davon überzeugt, daß Jenny sich mit Mike keinen Gefallen tun würde.
Ähnlich wie seine Liebesbotschaft würde auch er innerhalb kürzester Zeit, kaum daß
er sie erobert hatte, eine Wandlung in einen joggingbehosten Fernsehfußballbiertrinker
verwandeln.
Eines Morgens war Mike weg - dafür liebte plötzlich Heidi Kevin - big love!
Ihr ahnt es - der gekommene Herbst machte sich schnell über Heidis Liebe zu Kevin lustig
und ich war froh, als sich A.B. erbarmte, der seine
Knuddelmaus über alles liebt.
Aha ...
Es ist und bleibt ein deprimierendes Kommen und gehen - nirgends sieht man Liebe schneller verwaschen
als an dieser Brücke und immer öfter reizt es mich, auch einmal die Brücke zu
erklimmen und einfach mal etwas anderes aufzuhängen.
Boris, es ist aus! - Babs
Felix, denk an die Kartoffeln! - die Carola
Oder so ...
Aber vielleicht bin ich ja auch nur neidisch, weil der beste aller Göttergatten noch nie
eines unserer Bettlaken beschmiert und an die Brücke gehängt hat.
