
Bacardi-Feeling

Letzte Woche waren wir auf einer Beerdigung. Dies erwähne ich aber nur deshalb, weil meine
Tochter dadurch an diesem Tag nicht in der Schule war - nicht etwa um zu erzählen, mit welchem
Trick man eine Urne in ein Grab bekommt, ohne pietätlos zu werden.
Jedenfalls verpasste meine Tochter ausgerechnet den Tag, an dem alle Kinder fröhlich Transparentpapier
auf Luftballons kleisterten und somit ihre Martinslaternen-Rohlinge erstellten.
Für den Donnerstag nach Allerheiligen stand dann eine fröhliche Eltern-Kind-Bastelparty
auf dem Programm, zu der die Mamis und Papis bitte auch etwas zu Essen mitbrächten.
Ich bewundere Eltern, die daran Freude haben, mit einer Horde fremder Kinder und Eltern in einen
Raum gepfercht zu werden, in dem zu wenig Stühle und Tische sind und die es schaffen mit
ungeheuchelter Begeisterung mit ihren Kindern zu basteln.
Basteln ist pädagogisch wichtig - gemeinsam mit den Eltern sicher eines dieser harmonischen
Erlebnisse, welches später teure Therapien erspart.
Ich weiß, aber ich sehe solchen Terminen mit ähnlicher Begeisterung entgegen, wie
Zahnarztbesuchen. Schon die Frage des
was bringe ich nur mit???, bei der ich den Gedanken,
daß dadurch, daß alle etwas mitbringen, eh viel zuviel vorhanden ist und ich mir den
Umstand doch sparen könnte ... pfui!
Pünktlich stand ich also mit dem Kuchen und einem tiefschlafenden Oliver in der Klasse, als
mein Blick auf all die putzigen Laternen-Rohlinge fiel. Ein Kind verließ unvorsichtigerweise
seinen Stuhl, auf dem ich umgehend Oliver ablud. Dann suchte ich Michaelas Laternen-Rohling, bis
mir aufging, weshalb ihr die Lehrerin vorgestern ein Bastelheft mitgegeben hatte.
Leider war es recht spät gewesen - und der Tag drauf ein Feiertag - so daß ich erst
morgens dazu kam, Transparentpapier zu kaufen - und Tapetenkleister.
Wann hätte ich den Rohling basteln sollen, fragte ich mich und auch Michaelas Lehrerin,
die aber leider eine ausgesprochen gute Antwort hatte. Sie hatte Michaela auch Transparentpapier
mitgegeben - irgendwo in den Tiefen des
echten Scouts mußte es sein ...
Eigentlich könnte man nun argumentieren, daß ich ganz umsonst in der Stadt war,
um Papier zu holen. Man könnte auch noch auf den Kuchen hinweisen, den ich gebacken hatte und
den schlafenden Oliver, den ich geschleppt hatte - egal - Michaela war sauer.
Ich tröstete, indem ich ihr ein glitzriges Strassarmband gab, welches ich in der Stadt entdeckt
hatte und ihr und ihrem mittlerweile erwachten Bruder selbstgebackenen Kuchen gab. Nebenbei beobachtete
ich hektisch bastelnde Mütter und unzufriedene Kinder. Unzufrieden, weil sie nicht selbst
basteln durften, oder weil die mütterlichen Werke nicht denen im Bastelbuch entsprachen.
Ich versprach Michaela harmonisches Laterne-Basteln daheim und verliess den fröhlichen
Bastelnachmittag schleunigst wieder.
Daheim rührte ich zuviel Kleister in zuwenig Wasser - teilte die Menge, gab wieder Wasser dazu
und füllte auf die Art mehrere Marmeladengläser, bis wir eine angenehm glitschig, klebrige
Konsistenz erreichten. Dann pustete ich zwei Luftballons auf - dann noch 3 für Oliver - und
verkniff mir die Idee, die Kinder mit Schokoladenkeksen vor ein Video zu parken und in Ruhe zu
basteln.
Gute Mütter basteln
mit ihren Kindern ...
Oliver riss das Papier in mikroskopisch winzige Teile, die er dann noch energisch zusammenknüllte,
während Michaela versuchte alle Teile in exakt gleicher Größe abzuliefern und
nebenbei ständig auf ihrem Bruder herumhackte.
Ich bepinselte den Ballon mit Kleister, drückte das Papier drauf und summte
come on over, have
some fun, do it with Bacardi Rum - setzte dies aber wegen der sehr offensichtlichen pädagogischen
Wertlosigkeit nicht in die Tat um.
Das Papier wollte nicht recht kleben, bis ich auf die Idee kam, nicht den Ballon, sondern das Papier
zu bepinseln.
Irgendwann war es soweit:
In meiner Küche hingen ein kleiner und ein großer, mit mehreren Lagen Transparentpapier
beklebte Ballons, von denen leise Kleister auf meine Arbeitsplatte tropfte.
Der restliche Plan war einfach - nur noch die beiden Ballons zusammenpappen, Augen reinschneiden,
mit Watte bekleben - fertig ist das Schaf!
Es sollte zwei Tage dauern, bis ich dazu kam - aufgrund der verbrauchten Kleistermenge waren die
Rohlinge eh noch nicht vorher trocken. Mutig mordete ich den Ballon im kleineren Rohling, säbelte
Augen hinein und hinterklebte sie mit braunem Transparentpapier. Das Ergebnis sah irgendwie tot aus.
Also schnitt ich noch kleine schwarze Kreise aus Tonpapier und klebte sie in die braunen Augen.
Auf der einen Seite dellte das Auge daraufhin nach innen, während die Pupille des anderen
Auge nach aussen links glitschte. Horrorschaf auf Elmstreet ...
Der große, grinsende Mund, den ich malte, machte es auch nicht besser - die aus Papiertaschentüchern
geschnittenen Ohren waren dagegen ein echter Gewinn.
Als nächstes verteilte ich noch reichlich Watte und Klebstoff auf dem Kopf (und mir und dem Esszimmer ...)
- gar nicht sooo übel!
Nun nur noch den Körper dran ...
Am größeren Ballon war das Transparentpapier tatsächlich stellenweise noch feucht,
aber ich bin ja nicht um Ideen verlegen. Kurzerhand fönte ich den Ballon eine Weile, bis
ich sah, daß der Ballon auf einer Seite aus dem Rohling zu quellen begann.
Wärme, Ausdehnung ...
Das Ding sah aus wie ein Dinosaurierei und klang irgendwie auch so, als wollte so ein Tierchen
schlüpfen. Todesmutig stoppte ich weiteres Quellen durch einen entschlossenen Schnitt ins
Gummi und hoffte erfolgreich, daß mir nicht gleich lauter weiße Fetzen um die Ohren
flögen und mein Kind für den Rest des Lebens traumatisiert sei, weil es keine Laterne
hatte. Nicht, daß die Kleine sich später in irgendwelche Container sperren und angaffen
lässt ...
Aber wie gesagt, ich hatte Glück. Mußte nur noch den schlaffen Ballon herauspolken und
dann den Körper an den Kopf pappen. Die Idee war, lauter klebriges Transparentpapier als
Hals drumherumzuwickeln, was aber nicht möglich ist. Ich weiß das, ich habe es probiert!
Mama, darf ich dir helfen?
NEIN!
Ich hatte mir gerade einen der klebrigen Streifen in meine Wallemähne gepappt und
in solchen Situationen geht mir jeglicher Sinn für pädagogisch Wertvolles verloren.
Ich brauchte eine Hand um den Kopf festzuhalten, eine für den Körper, eine um klebrige
Streifen herzustellen und eine um sie zu befestigen - und 2 um klebrige Streifen aus meinen Haaren
zu zerren.
Ich kochte mir einen Kaffee, träumte von perfekten, gekauften Laternen und fragte mich leise,
weshalb Kinder St. Martin nicht einfach ihre Jacken durchschneiden und fremden Leuten schenken.
Come on over ...
Für Arbeiten mit Klebstoff bin ich nicht geschaffen - ich hasse alles Klebrige. Das heißt
nicht, daß ich keine Geduld habe - gebt mir Wolle, Fäden, Garn, Nadeln, Haken - was weiß
ich ...
2 Sekunden später jagte ich zu meinem Handarbeitszeug und nähte kurze Zeit drauf den Kopf
mit einer dicken Sticknadel am Körper fest, verteilte großzügig Kleber und Watte auf
dem Ergebnis und wollte jubeln - als ich merkte, daß das Schaf seinen Kopf verdreht hielt, als
hätte es sich das Genick gebrochen. Die schielenden Augen unterstrichen den leichten Gruseleffekt
perfekt. Ich sollte nur noch eine Zunge seitlich aus dem grinsenden Maul hängen lassen ...
Michaela fuhr maulend Inliner, Felix erwähnte beiläufig, daß es in anderen Familien
warme Mahlzeiten gäbe, während Oliver diese bei Nachbarn gerade verspeiste.
Es lief noch einiges schief, was aber mit Kleber und Watte zu verbergen war - und Michaela findet
sie perfekt. Sie will noch braune Flecken auf die Ohren malen.
Der beste aller Göttergatten machte dumme Bemerkungen bezüglich ihrer Regentauglichkeit und
der Wirkung von größeren Kindern mit Pechfackeln. Alles kein Problem!
Wirklich nicht! Zumindest nicht meines - denn ich werde morgen mit Oliver und seiner perfekten,
von den Kindergärtnerinnen und ihm gebauten Laterne durch die Gegend ziehen, während
Michaela sich ihren Papi zu ihrem St. Martinszug gewünscht hat.