
Grüß Gott!

Angeregt von der freundlichen Radiomoderatorin stellte ich mir vor, wie ich jemandem auf die Frage
nach der Uhrzeit mit
2a Uhr, oder 2b Uhr antworten würde. Um in den Genuß der
Frage nach der Uhrzeit zu geraten, müßte man zur besagten Uhrzeit lediglich eine gute
alte Freundin anrufen.
Hallo Regina,
zB. Die Chancen auf ein
Carola??? Spinnst du? Weißt du eigentlich wie spät es ist???
rechnete ich mir recht hoch aus, allerdings kam es nicht dazu, da ich wider Erwarten dann doch zu
humanerern Zeiten wieder in der Heimat eintrudelte und meinem sehnlichsten Wunsch nach Schlaf
folgte.
Ich befand mich nämlich auf dem Rückweg von Nürnberg, wo ich meine gewohnte Herbstwoche
bei meinem
armen alten Tantchen verbracht habe. Das Objekt meiner unterschwelligen Bewunderung
ist dieses Jahr tatsächlich 70 geworden, was wir eine Woche lang allabendlich gefeiert haben,
sobald die Kinderlein schliefen, oder zumindest im Bett waren. Mir scheint, es dürfte nun kaum
noch eine Sektmarke geben, die ich nicht kenne. *hicks*
Meine Tante ist ein Mensch, der sein Leben lang genau wußte, was er nicht will. Zuoberst auf der
Liste dürften sich Kinder befunden haben, dicht gefolgt von Ehemännern und Haustieren.
Statt dessen schwor sie auf Bildung, Bücher und guten Wein.
Sollte ich bewusst noch ein Leben haben, gebe ich dieser Lebensvariante vielleicht auch eine Chance -
aber nur, wenn mir danach noch 2-3 Leben mit Nachwuchs und Göttergatten garantiert sind.
Meine Tante hat vermutlich 70 Jahre damit verbracht, sich Wissen anzueignen. So anders ist das bei
mir nicht, bilde ich mir doch ein, daß hinter mir ein 32jähriger Lernprozeß liegt.
Allerdings mit breiterer Konzentration auf Windelcremes und Fleckentfernung und - was vermutlich
eine schwerwiegendere Bedeutung hat - mir sind häufige Unterbrechungen und vor allem krasser
Widerspruch begegnet und zwar nahezu täglich.
Derart gewöhnt man sich an den Gedanken, daß die Welt nicht untergeht, ja, daß es noch
nicht einmal zu regnen beginnt, wenn man etwas nicht weiß, oder das Wissen, welches man stolz
präsentiert, umgehend und heftig hinterfragt wird. Und dann gelegentlich auch nicht standhält...
Natürlich könnte dies bei labilen Menschen zu einem Verlust des Selbstbewusstseins führen,
während die Ehrgeizigen sich davon eher auf die Volkshochschulen getrieben sehen. Menschen wie
ich lernen daraus, wen sie wann um Rat bitten können.
Menschen wie mein innig geliebtes Tantchen hingegen, sind tief in ihrem Inneren dagegen davon überzeugt,
die Welt und ihre Geschichte begriffen zu haben. Grosszügig lässt sie andere an diesem
Wissen teilhaben. So weiß ich nun viel über die Hugenotten in Erlangen. Meine Tante wurde nicht
müde, mich auf die Kirche und die typischen zweigeschossigen Häuser hinzuweisen. Und ich
war dankbar, denn in einem besonders hugenottischen Haus befand sich eine Babyboutique mit heruntergesetzten
Schneeanzügen. Je teurer Babyboutiquen sind, desto billiger ihre Sonderangebote und so gelangte
Oliver in den Besitz eine protzmarkigen Anzugs zu C&A-Preisen. Für Kinder seines Alters sind
schneetaugliche Einteiler eine Wucht (nur Vorsicht auf den Rutschen! - in diesen Anzügen gehen
sie ab wie kleine Raketen!). Das mit der Wucht lässt aber schwer nach, wenn sie keine Windeln
mehr tragen und dann eher Hosen brauchen, die man innerhalb einer halben Sekunde herunterreissen können...
(das ist anfangs die Vorwarnzeit zwischen
Mami, ich muß mal und Nachgeben des Blasenschliessmuskels...)
Für Oliver einen Winteranzug zu bekommen, stellte aber eine besondere Anforderung dar, da er
derzeit eine Hosengröße 98 hat, während sein Oberkörper eine 116 braucht.
Eigentlich könnte man ihm auch noch 92er Hosen anziehen, wenn ich es mir recht überlege,
hat er auch noch eine nur hauchdünn zu kurze in einer 86. Der Oberkörper braucht allerdings
eine 116 und damit basta! Den Rat einer
ehemals befreundeten Mutter, ich sollte doch mal in
so einem Tierausstattergeschäft nach einem hübschen Anzug für Dackel schauen, fand ich
wenig hilfreich!
Dackel...
Wobei es mich aber auch beeindruckt, daß er die frisch abgelegten Pullis seiner Schwester
direkt übernehmen kann. Wenn seine Beine das nachholen, passt er nicht mehr in sein Bett...
Oje, ich habe es schon wieder getan - von den Hugenotten zu Winteranzügen, zu Oliver und wie komme
ich jetzt wieder zurück?
Meine Tante nutzte unseren Ausflug nach Erlangen ausgiebigst, mein eher spärliches Hugenotten-Wissen
zu ergänzen. Zumindest werde ich sie so schnell nicht wieder mit den Hunnen verwechseln. Einige
Theorien erschienen mir zwar gewagt, aber widersprechen konnte ich mangels Sachkenntnis natürlich
nicht.
Anders war das dann mit dem Abendstern. Am Abend zuvor hatte meine Tante mich auf den Mond aufmerksam
gemacht. Vollmond ihrer Meinung nach, abnehmender Mond meiner Meinung nach. Den Abend drauf fehlte dem
Mond ganz eindeutig eine Ecke, aber statt dessen entdeckte meine Tante den Abendstern.
Hübsch! Rechts und links neben ihm
blinkte es gelegentlich rot auf, während er sich uns schnell näherte.
Vermutlich ist das in Nürnberg so. Könnte etwas mit den Hugenotten zu tun haben, oder
Karl dem Großen, der übrigens - nein, kein Hugenotte - ein Franke war und mit 80 Jahren
noch versuchte Schreiben zu lernen. Ich soll mir unbedingt einmal seinen traumhaft schönen weißen
Marmorsarkophag ansehen und...
Ich hätte dabei bleiben sollen, leise zu kichern, statt meiner Tante noch eine
Steilvorlage
für ihre Rache zu liefern. Mein: "Hübsch,
der blinkende Abendstern vor dem Vollmond." war vielleicht wirklich etwas übertrieben.
Nein, nein, der Mond hat deutlich abgenommen, ganz im Gegensatz zu dir, liebste Nichte, wurde
abgefeuert, aber mit einem Wiederauffüllen meines Sektglases gemildert.
Ich zog den Rest der Woche allerdings vor, nicht mehr zu widersprechen, zumindest nicht so deutlich und
schon gar nicht grinsend. Allerdings strafte ich sie mit meinem Lieblingskalauer, als einer ihrer
Nachbarn mit freundlichem
Grüß Gott zu uns in den Aufzug trat.
So hoch wollen wir
aber gar nicht, sagte ich trotz warnender Drohblicke.
Oh, ich liebe Nürnberg und seine betont nicht bayerische Bevölkerung. Die Bayern haben mehr
Berge, die Franken dafür einen größeren Horizont, sagen sie - während ich von
einer waschechten Münchnerin den Spruch:
Man soll Gott für alles danken
auch für die dummen Franken
gelernt habe. Nun, für einen Rheinländer, speziell für Wahlkölner dürfte das
wohl so ähnlich sein, wie wahlweise der Vergleich mit den Düsseldorfern oder Bergheimern.
Unverzeihlich war hingegen die Sache mit den Lebkuchen.
Zu meinem grßen Entsetzen wurde an der Rezeptur von Haeberlein und Metzger herumgefuscht.
Gerüchteweise erfuhr ich, daß Schöller Rezept und Namen verkauft hat. Wer immer
dafür nun verantwortlich ist, hat sich gewagt, die Lebkuchen auf 2/3 ihrer alten Größe
einzuschrumpfen, viel zuviel Zimt hineinzumischen und sie dann auch noch mit einer helleren Schokolade
zu überziehen.
Ich rede von der Nummer 10 - ehemals hießen die Dinger übrigens
Carola. Das muß so
Ende der 60er gewesen sein, als mein Schwesterlein meiner Mutter den Namen Elske für das
kommende Baby ausredete und auf Carola bestand. Elske Enning - klingt wie Emil Erbse, noch ein Grund,
für
Carola dankbar zu sein.
Egal, wir saßen ratlos vor dem geviertelten Lebkuchen und während meine Kinder ihre Viertel
unkritisch verschlangen, versank ich eine tiefe Depression, die dazu führte, daß ich die
folgenden Tage traumatisiert in sämtlichen Lebkuchengeschäften um Kostproben ihrer
Schokolebkuchen bettelte. Am letzten Tag kaufte ich dann von der Marke Fraunholz die Elisenlebkuchen.
Elisen sind ohne Mehl, deutlich teurer und naja, etwas zäher, als die mit Mehl.
Und überhaupt - es ist einfach nicht mehr das Gleiche...
Die Besuche im Tiergarten haben mich dagegen versöhnt, denn wir lernten Albrecht kennen, das
Babynashorn. Seine Mutter kann sich mit ihm wohl relativ frei bewegen und vor den Augen der Zoobesucher
verstecken, uns hat sie ihn hingegen stolz gezeigt. Viel Mimik hat ein Nashorn eigentlich nicht
vorzuweisen, aber sie brachte ihre Muttergefühle doch glaubhaft herüber und es hätte
mich arg gereizt, die beiden zu fotografieren. Allein die Idee, die beiden mit Blitzen zu belästigen,
hielt mich davon ab.
Weshalb habe ich nur mit der Rückfahrt angefangen?
Wir hatten noch Freunde in Eltersdorf besucht, die wir schon auf der Hinfahrt überfallen hatten,
und uns den Magen mit Pizza gefüllt, bevor wir dann aufbrachen. Zuerst hörten wir noch,
wie Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer die Kinder aus der Drachenstadt befreiten und
wie sich Frau Mahlzahn in Ping dann in einen goldenen Drachen der Weisheit verwandelte, wie sie
die schwimmende Insel fanden, Neu-Lummerland, und nun glücklich nach Lummerland zurückkehren
konnten. Zumindest habe ich sie ganz bis zu Ende gehört, auch wenn meine Kinder längst
eingeschlafen waren. Dann begann die Suche nach Radiosendern. 396 Kilometer bis Köln.
Ach, ich wäre gerne noch geblieben und hätte die Mars Attacks gesehen. Bei Frankfurt spielte
ich gähnend mit dem Gedanken, einen Freund mit unserem Besuch zu beglücken.
Statt dessen fuhr ich einen Parkplatz an. Verlockend leuchtete mir das Restaurant entgegen - jetzt einen
Kaffee... Ein Auto weiter lehnte ein junger Mann rauchend an seinem Auto und betrachtete die blinkenden
Abendsterne, die den Frankfurter Flughafen ansteuerten. Für einen Moment bereute ich es, daß
ich nicht rauchte, dann kurbelte ich zumindest mein Fenster herunter. Die Idee, einen Kaffee zu
trinken und die schlafenden Kinderlein im Auto zu lassen, hatte ich so schnell verworfen wie die Idee,
sie zu wecken und mit hinein zu nehmen. Ich brauchte mich nur kurz in Michaela
zu versetzen, wenn sie aufwachte und rings um sie fremde Finsternis herrschte.
Prompt erscholl ein Quengelstimmchen:
hier ist es soooo kalt. Ich schloss das Fenster und
erhöhte dann meine Handyrechnung. Eine gute
Hallo-Wach-Idee für nichtrauchende,
müde Autofahrer, die auf Kaffee verzichten müssen.
So entstand auch die Idee, die Umstellung auf die Winterzeit spassig zu nutzen, aber wie gesagt,
da hatte ich meinen Schlafwagen längst vor unserem Haus abgestellt. Ich verschlief 2a Uhr
und 2b Uhr, wachte kurz um 6.47 Uhr auf, als der beste aller Göttergatten ein quietschwaches
Baby zu uns ins Bett holte und verkrümelte mich um 7.17 Uhr schlaftrunken in unser Gästezimmer,
als auch noch eine fast 6jährige zu uns gekrabbelt kam und nach kurzer Schmusephase nach meinem
Kissen und meiner Decke verlangte.
Das nächste Mal erwachte ich dann pünktlich zum Mittagessen :-)