
Regina ist gemein!

Seit heute morgen stöbere ich mit wachsender Verwirrung durch das Haus und suche die Puh-Bücher
von Arthur Milne. Die Bücher finde ich nicht, dafür habe ich insgesamt 18,- DM in einzelnen
Markstücken aus den Regalen gefischt.
Nach kurzem Grübeln konnte ich mir zumindest erklären, weshalb so viele Markstücke in
den Regalen liegen. Das sind die
Einkaufswagen-Marken. Im Supermarkt packt man im Akkord die
Waren in die Beutel, droht den Kindern übles an, sollten sie ihre Pfoten nicht von den
Süßigkeiten lassen, kauft mit leiser Verbitterung zwei Überraschungseier, stopft
Oliver in den Kinderwagen und belädt ihn dann geschickt mit der Handtasche und den Einkaufsbeuteln.
Den Wagen, nicht Oliver.
Und dann schiebt man den Einkaufswagen wieder in die Reihe und grübelt, wo man jetzt das
Portmonnaie vergraben hat. Nein, eigentlich grübelt man nicht, sondern schiebt die Mark einfach
in eine Hosentasche, wenn vorhanden. Und wenn man dann die Hosen dann irgendwann in den Wäschekorb stopfen
will, schaut man natürlich erst in die Hosentaschen. Felix beglückt mich mit Tempos und
Visitenkarten, in meinen Taschen finde ich die Marken und bei den Kindern bin ich ganz vorsichtig
und meist auch nicht ganz sicher, was es einmal war. Alles möglich, von Lakritzschnecke bis hin
zu mumifizierten Regenwürmern.
Vermutlich habe ich Puh verliehen, aber an wen?
Das ist übel, denn eigentlich wollte ich sie heute wieder lesen, zumindest damit beginnen.
Schon um Regina mundtot zu machen, die meine winzige Puh-Bemerkung von gestern zerpflückt.
Wie hieß die Formulierung um den Bären denn immer?
Irgendwas mit "von geringem Verstand", oder?
Dass der Bär nicht Puck hieß, weiß ich natürlich. Regina meinte, mir dies
noch einmal sagen zu müssen. Pah!
Ich weiß doch, daß ich meinen Kater nach dem Kobold aus dem Midsummer Night's Dream
benannt habe. Daraus stammt schliesslich mein Lieblingslied.
Wer gerade schmerzlich zusammenzuckt, hat vermutlich einmal das Vergnügen gehabt, neben mir zu
wohnen. Es ist bestimmt für alle ein einzigartiges Erlebnis gewesen und ein ewiger Quell der
Freude, daß ich den Text vom Elfenmarsch auf englisch beherrschte und ihn mit viel Freude, aber
wenig Begabung zu schmettern pflegte.
Wer seine Nachbarn auch derart entzücken, oder den Mietpreis in der Umgebung senken möchte:
You spotted snakes with double tongue,
thorny hedge-hogs, be not seen;
newts, and blind-worms, do not wrong;
come not near our fairy queen.
Hence away!
und und und...
Ich weiß bis heute nicht, was es zu bedeuten hatte, daß mir die Nachbarn irgendwann eine
CD von Tanita Tikaram schenkten, wobei ich zugebe, deren Tonlage mit deutlich weniger Mühe halten
zu können.
Wer nun meint, zu unserer Hochzeit hätte es also den Hochzeitsmarsch von Medelssohn-Bartholdy
gegeben, liegt allerdings auch komplett daneben, denn schliesslich heiratete sie einen Esel! (und ich nicht)
Gut, so kann ich nicht wie geplant heute in Puh herumschmökern und schauen ob ich eine Stelle
finde, in der der Bär "unnütz" genannt wird. Dafür habe ich mit Irmgard Keuns
Nach Mitternacht begonnen, das den
Mittendrin aufschlagen und anlesen-Test bestanden hat.
Den Namen Irmgard Keun hatte ich noch nie gehört, aber Regina stapelt mit Vorliebe Bücher
in ihren Regalen, deren Autoren den meisten
Hausfrauen ziemlich unbekannt sein dürften.
Es gibt Autoren, die eine regelrechte Fangemeinde haben, ohne nun wirklich beeindruckend zu sein.
So habe ich mich gerade durch den neuesten Krimi von Martha Grimes gewühlt und bin froh, daß
Inspector Jury nicht noch tiefer in seine Depressionen versunken ist. Obwohl, klar, das mit Jenny
wurde auch wieder nichts (aber zumindest landen sie diesmal zusammen im Bett).
Manchmal merkt man ihr den Kurs für kreatives Schreiben an, noch öfter muß man das
Wissen bekämpfen, daß die Frau Amerikanerin ist und ihre typisch englische Welt eben nicht
typisch englisch ist. Elisabeth George finde ich übrigens besser - aber ganz ehrlich:
Schublade auf und rein mit den beiden.
Ich lese sie gerne, nette Unterhaltung, aber sie erinnern mich an quietschgelbe Fanta, verglichen mit
den
Grüntee-Büchern, die man bei Regina sonst so findet.
Also, hier die Passage, wegen der ich das Buch umgehend auslieh:
"Seine Bildung ist nämlich ungeheuer. Er erzählte mir, daß er am Grabe eines Hölderlins
einen Hölderlin gelesen hatte. Aber das nicht etwa nur einmal, sondern mehrmals. Das wären immer
erhebende Minuten gewesen. Alles das wäre ihm so heilig, daß er gar nicht davon spräche,
es überhaupt nicht erwähnte. Und dann sprach er davon."
Erst später in der Strassenbahn entdeckte ich, daß es ein Roman von den Zuständen und der
Atmosphäre in Nazideutschland ist - und auch nicht hinterher geschrieben, sondern währenddessen.
Vermutlich dreht mir Regina hiernach den Hals um, denn sie hat begonnen ein Tagebuch
(Tagebuch einer Leserin) zu schreiben.
Aber keine Bange, mir liegt es nicht, über irgendwas zu schreiben, was ich gelesen habe.
So wenig, wie ich unmittelbar nach einem Kinobesuch über den Film reden möchte.
Mir sind Leute unheimlich, die noch in den laufenden Abspann hinein druckreife Kritiken äussern.
Wobei ich aber sehr gerne mit sehr unterschiedlichen Menschen ins Kino gehe.
Danach ein Glas Wein, oder einen Milchkaffee und mal schauen, ob der andere sich der Stimmung
des Films angepasst hat, plötzlich wehmütig in Kindheitserinnerungen wühlt, oder
die Kellnerin aggressiv anschnauzt.
Oder handelt es sich um einen Dozenten, der sofort beginnt, die Computer-Tricks zu erläutern?
Die Feder bei Forrest Gump war gar keine Feder, sondern eine Animation - ha!
Oder ein Streber, der vorher die Kritiken zum Film gelesen hat und nun mehr oder weniger hohl herunterplappert?
Mit einer großen Clique ins Kino zu gehen, empfinde ich eher als Strafe. Mein Geschmack liegt
deutlich neben der Mode und so saß ich im
Geisterhaus und verkniff mir mühsam das
Lachen. Irgendwo hatte ich leider den Einstieg in die Dramatik verpasst und fand alles nur entsetzlich
dick und peinlich aufgetragen, während meine Freundin neben mir gerade mein letztes Tempo aus
meiner Tasche angelte und hingebungsvoll hineinschnaubte.
Andersherum saß ich bleich und rotäugig inmitten meiner scherzenden Freunde und konnte nicht
fassen, daß Sommersby kein Happy-End hatte. Sie haben ihn aufgehängt! *heul*
Man muß sie einfach gerne haben...
Liebste Carola,
der Elfenmarsch ist rein instrumental und hat mit "Ye spotted snakes" nur soviel zu tun,
dass er direkt davor kommt.
Nananenana
Regina am 25.08.1999