
Kostbare Sekunden
13.07.98
Kennt Ihr sie auch, die Leute, die mit ihrem Leben viel besseres anzufangen wissen,
als kostbare Sekunden damit zu verschwenden:
- an Zebrastreifen zu warten
- in geschlossenen Ortschaften, Spielstrassen, vor Schulen oder neben spielenden
Kindern vom Gas zu gehen
- ...
Oder an beschränkten Bahnübergängen zu warten, bis die Schranken aufgehen?
Wann immer wir hier aus der Strassenbahn steigen, müssen wir über den Übergang.
Und jedes Mal, wenn wir brav hinter der Schranke stehen, stellen sich einige andere
vor die Schranke und wetzen dann sofort los, sobald die Strassenbahn vorbei ist.
Pädagogisch sehr lehrreich war der Tag, als sie losstürmten und dann aus der Gegenrichtung
die Bahn mit lautem Klingeln losfuhr. Eine Frau stolperte beim Zurückspringen und
fiel lang hin.
Mama, die war richtig dumm, oder?!
Ja, da siehst du was passieren kann, wenn man nicht da wartet, wo man soll.
Mama, die sieht jetzt aus wie eine ganz dreckige Mistbiene, nicht?
Die Blicke der Dame und ein gemurmeltes "Unverschämtheit", konnten mein breites
Grinsen nicht mehr vertreiben. Wie soll man es den Zwergen denn bitte schön beibringen?
Klar, ich kann auch abschätzen, daß ich es vermutlich noch zur rettenden anderen
Strassenseite schaffe, wenn ich jetzt losspurte, aber Michaela, die den normalen
Größenwahn aller Vierjährigen in sich trägt, die schon fast alles fast ganz alleine
können, kann das halt nicht.
Ich argumentiere schon nicht mit "das ist halt so", sondern mit "das ist dann sicherer",
aber ich könnte manchmal allen anderen den Hals umdrehen, wenn sie demonstieren,
wie uncool es ist, sich an Gesetze und Spielregeln zu halten.
Was haben wir es eilig... und besonders eklig ist, wenn so einer noch schnell rüberrennt
und dann mit dem letzten Sitzplatz im Bus belohnt wird.
Oder Essmanieren... Michaela kennt die Regeln, aber noch nicht so ganz das Taktgefühl,
sie anderen, besonders Älteren nicht mitzuteilen. So kann es schon mal sein, daß
sie im naseweisesten Ton mitteilt, daß man sein Butterbrot nicht mit beiden Händen
packt und isst, sondern immer eine Hand neben dem Teller läßt.
Eine saubere Hand braucht man nämlich für Türklinken und Lichtschalter...
Und man trinkt auch nicht, wenn man einen vollen Mund hat, weil dann das ganze Wasser
voll ekligem Kram ist!
und ausserdem...
Michaela, bitte ...
Verzweifeltes Angrinsen des
Opfers und krampfhafter Themenwechsel.
Oder die Supermarktkasse...
Was gibt es da schöneres, als die Kinderlosen, die einem dann vorschlagen, doch bitte
nicht gerade dann in den Supermarkt zu kommen, wenn die höherwertige, da berufstätige
und kinderlose Bevölkerungsschicht dann gerade ganz in Ruhe einzukaufen wünscht.
Also, ein Wort an die Pumpspartei:
Wir kaufen ein, wann immer wir wollen
Und das ist in der Regel auf dem Weg zum Kindergarten/Grundschule, oder auf dem Rückweg.
Und abends, Ihr Süßen, zürnt Ihr gerade über Eure berufstätigen, aber eben mütterlichen
Kolleginnen. Die sind gerade vermutlich quer durch die Stadt gehetzt, haben den
Nachwuchs 2,4 Minuten zu spät aus den Klauen der böse blickenden Betreuerinnen
gerissen und versuchen gerade sich kramphaft zu erinnern, was daheim fehlt, während
sie das schlechte Gewissen plagt, daß die anderen Kolleginnen jetzt gerade noch Überstunden
machen, während man selbst nun gemütlich mit dem nörgelnden Nachwuchs einkauft,
Konversation treibt, die Problemchen löst, noch eben die Bügelwäsche macht und und und.
Ich warte immer darauf, daß eine dieser kurz vor dem Siedepunkt stehenden Frauen
eine der demonstrativ angenervten Kundinnen hinter sich mit ihren Waren bewirft und
eine Urschreitherapie ausprobiert...
Demonstratives Rasseln mit einem Schlüsselbund, oder Tippen der wohlgepflegten
Fingernägel auf dem Band kommt gut... Oder rhytmisches Anstupsen mit dem Einkaufswagen.
Macht das nicht mit mir, Mädels, da ich dann erst noch in aller Gemütsruhe meine Ware
verstaue, bevor ich dann das Portemonnaie zücke und
passend bezahle :-)
Ausserdem, das was da
Stunden dauert, ist nichts als Einbildung. Schaut einfach mal
auf die Uhr, wieviel länger es nun dauert, wenn man die Dinge nicht so hetzt. Man hat mal
geprüft, wieviel schneller man ans Ziel kommt, wenn man zB auf der Autobahn im Stau ständig
die Spur wechselt oder konsequent zu schnell fährt und so und es kamen immer wahnsinns
Zeiträume von 5 Minuten oder so heraus.
Und was kann man seine Nerven schonen, wenn man nun einfach einen Gang zurückschaltet, wenn
man vor sich eine lange Warteschlange hat. In irgendeiner dieser sogenannten
Frauenzeitschriften fand ich mal DEN Tip, den ich zu gerne beherzige.
Ich habe Zeit, sind die magischen Worte, die aus dem Weg mit Kindern ein
gemütliches Bummeln machen, statt einem Hinterherziehen einer bockigen, nörgelnden
Vierjährigen, die das
Matschverhalten toter Schnecken austesten wollte.
Anfangs muß man es sich noch gelegentlich sagen, irgendwann fällt diese nutzlose
Hektik von einem ab. Nicht, daß man ständig zu spät kommt, sondern daß man sich einfach
keinen künstlichen Zeitdruck mehr macht (und anderen!).
Bei mir geht es etwas weniger perfekt, dafür aber recht gemütlich zu. Gäste werden
nicht an perfekte Tische geführt, sondern dürfen gerade decken, während ich noch koche
und Termine setze ich so, wie sie passen.
So verabrede ich mich schon ewig nicht mehr für 15 Uhr, sondern "irgendwann nachmittags",
notfalls wird noch mal telefoniert. Man verabredet sich auch nicht an irgendwelchen
ungemütlichen Orten, sondern in Cafes, daheim oder Spielplätzen.
Klar, Behördengänge, Arzttermine oder wer weiß was muß man pünktlich einhalten -
aber es gibt wirklich keinen Grund, sich mehr Stress zu machen, als nötig, oder?