05.03.1998
Hinter uns liegen einige recht turbulente Tage und ich kann kaum fassen, daß nun wieder Ruhe eingekehrt ist.
Von Freitag an hatten wir Besuch, aber sehr netten Besuch. Nicht solchen, wo man das Gefühl hat, die Möbel werden
taxiert und durchgeschnüffelt und auch besaßen alle Besucher die Gabe zu sagen, was sie möchten, statt
leise hüstelnd neben dem Telefon zu stehen, bis man sie förmlich anfleht, zu telefonieren.
Wie gesagt, von der Sorte war niemand dabei - statt dessen hatten wir hier eine Gruppe von Onlinern, die nachts
um 2 Uhr unbedingt noch nach ihrer Post sehen mußten. Es waren auch Leute darunter, die nach ihrem Counter
geschaut haben... Zu dem Onlinertreffen lasse ich mich aber auf einer anderen Seite etwas gründlicher aus.
Am nächsten Tag war Olivers Taufe, zu der man auch nicht viel sagen kann, außer daß es uns dieses Mal gelang,
das Kollektekörbchen als solches zu erkennen und es mit Geld zu füllen. Nach der Hochzeit haben wir lange
gerätselt, wo das Körbchen während der Trauung geblieben war und meine Schwiegermutter war so nett, der
etwas frostigen Kirchenhelferin einen Geldschein in die Hand zu drücken was ja nicht nötig war *grabsch*
Später sahen wir das Körbchen dann auf den Fotos - mein Neffe Sebastian, damals knapp 3 Jahre alt, hatte
es sich auf den Kopf gesetzt und grinste mit seinem Hut in die Kamera.
Nun ist Oliver kein kleiner Heide mehr
und Christoph gehört zur Familie :-)
Danach lernte ich im Restaurant eine Weinlektion für Anfänger:
Weißherbst ist kein Weißwein, sondern ein Rosé, aber lecker :-)
Sonntags wurde es dann langsam ernst - ich telefonierte mit dem Krankenhaus, in dem Michaela Montag operiert
werden sollte. Von einer Freundin wußte ich, daß man um die Übernachtung vor der Operation im Krankenhaus drumherum
kommen könnte, wenn man nur stur genug war. Stur war ich...
Ich neige sonst nicht dazu, anderen Probleme zu machen und obwohl ich keinem Arzt vertraue, tue ich sehr brav immer das,
was sie mir sagen oder suche mir, wenn es mir zu suspekt erscheint so lange einen neuen Arzt, bis ich einen finde, der das
sagt, was man hören möchte. Auf die Art bin ich einer vermutlich völlig sinnlosen Herzoperation entgangen - ich hatte es doch
geahnt... Ärzte wissen einfach nicht, was Sätze wie "das ist gar nicht mehr so langwierig, seit Rippen nicht mehr gesägt,
sondern gebogen werden in einem Normalmensch - sprich Patient auslösen... An meinen Rippen biegt niemand herum und es gelang mir ja tatsächlich weit weniger
operationsfreudige Ärzte zu finden...
Nun, an Michaelas Rippen sollte auch nicht gebogen werden, es ging nur darum, ihre Trommelfelle zu durchstechen und die
Polypen zu entfernen. Weshalb ich mich überhaupt so anstelle?
Laßt Euch den Satz: meinem Kind wird eine Vollnarkose gegeben mal auf der Zunge zergehen und versucht dabei nicht
an all die Blättchen zu denken, die Ihr beim Friseur oder in diversen Wartezimmern gelesen habt. Denkt nicht an all die schaurigen
Geschichten, in denen ein junges, entzückendes Leben völlig sinnlos durch eine Mandeloperation oder so beendet wurde.
Gut, da ich nicht wollte, daß Michaela mich nur noch versteht, wenn ich schimpfe, stimmten wir dem Eingriff zu, aber ich konnte uns
doch zumindest die Übernachtung in einem überfüllten, fremden Zimmer ersparen. Jahrelanges Telefonieren in der Bank hat meiner Stimme die genau richtige Mischung aus
Freundlichkeit und Widerspruch ist völlig unnötig und zwecklos gegeben. Meine Freundin meint, man hätte unwillkürlich ein
schlechtes Gewissen und müßte an nicht abgeheftete Kontoauszüge und überzogene Kreditlinien denken, wenn ich loslege.
Mein erstes Opfer war eine Krankenschwester, der ich erklärte, der HNO-Arzt hätte gesagt, es sei überhaupt kein Problem, wenn
wir erst Montags in das Krankenhaus kämen, wenn wir Sonntags schon mal zu einer Untersuchung vorbei kämen und ich den
Blätterberg für die Narkose unterschrieb. Danach entlockte ich ihr noch die Details, wann ich am nächsten Morgen erscheinen
müßte und wann die günstigste Zeit wäre, um zu den Voruntersuchungen zu kommen.
Abends fuhr ich mit Michaela also ins Krankenhaus und hatte das große Glück, daß nach mir ein Rettungswagen kam. Die
Patientin vor uns verlor die Geduld, schimpfte ziemlich aufgebracht, sie hätte jetzt schon über eine Stunde gewartet und
verschwand dann, während ich Michaela weiter das Buch mit der grauen Katze vorlas, die etwas besonderes sein möchte.
Als wir endlich an der Reihe waren, kam prompt der nächste Krankenwagen und ich sagte freundlich, daß ich mit meiner Tochter
zum Getränkeautomaten spazieren würde. Als wir zurückkamen, machte der Aufnahmearzt den Fehler, sich bei mir für meine
Geduld zu bedanken. Das Notfälle vorgehen, ist wohl nur richtig und deshalb kann man genau so gut freundlich bleiben, denn
Gezeter nutzt nichts, oder? Freundlichkeit aber schon... Es hat so was Souveränes...
Der Arzt griff nämlich auch in die Trickkiste um mir die ungeheuerliche Notwendigkeit einer Übernachtung im Krankenhaus zu
erläutern. Er habe schon 10 Mal erlaubt, daß die Kinder erst am nächsten Morgen kämen und 8 Mal sei es schiefgegangen.
Jaja... Ich erklärte, ich habe vorhin erst mit einer Krankenschwester telefoniert, die gesagt hätte, es sei nicht das
geringste Problem, erst am nächsten Morgen gegen 6 Uhr zu kommen - und wenn es doch ein Problem sei, sollte man doch
vielleicht versuchen, sich mit seinen Kollegen abzusprechen, oder?! Ich sei jetzt jedenfalls überhaupt nicht auf eine
Übernachtung eingerichtet und fertig!
Ich bekam noch ein trotziges, er habe mich gewarnt mit auf den Weg und man sah uns dort also erst am
nächsten Morgen wieder. Felix hatte die schwierige Aufgabe, Michaela ohne Abendbrot in ihr Bett zu bringen,
wo sie prompt herzergreifend weinte und um einen Kanten Brot bettelte (aber nicht bekam), denn ich war darauf
hingewiesen worden, daß sie vom Zeitpunkt der Untersuchung an nüchtern bleiben mußte.
Morgens um 5 Uhr weckte ich sie dann. Muß ich jetzt ins Dankenhaus? fragte sie und ich meinte recht
automatisch ja, wir fahren jetzt ins Krrrrrrankenhaus.
Nichts hielt und auf und so waren wir mehr als pünktlich.
Ich zog Michaela ein Krankenhausnachthemd an, nahm ihr die Brille und ihre Zopfspangen ab, machte
kleine Scherze, starb vor Angst und gab ihr dann ihren Teddy und einen Schnuller (hey, das war ja wohl ein Notfall!),
als sie in diesem abgrundtief hässlichen Gitterbett lag.
Die nächste Krankenschwester kam mit einer Spritze, mit der sie Michaela eine Flüssigkeit zu trinken gab - dafür durfte
sie die leere Spritze behalten. Da lag mein kleiner Schatz, sah die Spritze an und freute sich, als ihre Augen glasig
wurden. Erstaunt sah sie die Spritze an und lallte Toll, jetzt habe ich 2 Spritzen, nein 3 ?!
Keine Ahnung, was das für Tropfen waren, die sie da geschluckt hatte - aber ich glaube, die hätte ich für
gelegentlich Notfälle auch ganz gerne daheim... Michaela war danach nämlich alles "schei...egal"
Bis wir dann zum OP mußten versuchte sie mich allerdings davon zu überzeugen, daß sie keine Decke habe und ich
zeigte ihr, daß sie sehr wohl eine habe, was sie aber Sekunden später wieder vergessen hatte. Ein Gitterbett weiter
meinte eine Mutter, daß sie die Tropfen gefälligst auch den Müttern geben sollten, während sie ihrer Tochter
betont heiter Schlaflieder vorsang. Beim Morgen früh, so Gott will, wirst du wieder geweckt... brach sie dann
in Tränen aus und mir kam der Verdacht, daß die Kinder die Tropfen nur bekamen, um nicht von ihren Müttern in
ihrer Panik angesteckt zu werden.
Oh, ich war ganz cool und locker - ehrlich. Nur vor dem OP kam es fast zu einer Schlägerei mit der Krankenschwester,
die mir mit einem fröhlich geflöteten bis hier und nicht weiter! Michaelas Teddy in die Hand drückte und mit meinem
Kind verschwinden wollte. Ich hielt energisch das Bett fest, gab Michaela ihren Teddy zurück und bestand auf einen
Abschiedskuss - was soll sie denn denken, wenn ich plötzlich wortlos verschwinde und mit mir der Teddy?!
Die Krankenschwester kam mir mit dem Spruch, daß der Teddy ja spurlos verschwinden könnte und dann?
Dann habe ich noch 2 Teddys in der Tasche gab ich zurück - schliesslich hat Michaela eine ganze Familie davon,
seit DER Teddy mal verschwunden war und wir eine Nacht ganz ohne Teddy hinter uns gebracht hatten...
Leider gab die Schwester mit einem Lächeln sofort nach, der Kaffeeautomat servierte mir unverzüglich einen Kaffee,
der Aufzug kam sofort - nichts und niemand lieferte einen Grund zum aktiven Stressabbau!
Also ging ich in die Cafeteria und spendierte mir statt dessen ein Teilchen. Kurz darauf erschien die nächste Mutter -
mit einer Kuschelente in der Hand.
Sie haben ihr einfach ihre Ente weggenommen! sagte sie und wir unterhielten uns
eine Weile ohne Lust und Konzentration.
Vor der Cafeteria lag der Park, in dem Felix und ich vor etwas mehr als 4 Jahren endlose Runden durch den
Nieselregen gedreht haben und ich bei jeder Wehe leise fluchte und mich in eine mit warmen Wasser gefüllte
Badewanne sehnte.
Um mir einen richtig sentimentalen Kick zu gönnen, ging ich noch in die Neugeborenenstation und grinste dem
Kreisssaal von weitem zu. Dann war es Zeit, vor dem Aufzug zu warten und den Lack von den Nägeln zu knabbern,
bis ein Gitterbett mit meiner laut weinenden Tochter kam.
Sie weinte, wimmerte, jammerte und bettelte, daß ich den Tropf von ihrer Hand entfernte, beruhigte sich aber
schnell, nachdem ich ihr ihre Lieder vorsang. Anfangs hatte ich den Fehler gemacht zu sagen, daß alles
wieder gut wird. Das wird nie wieder gut! schluchzte sie.
Wurde es doch. Immer wieder schlief sie ein und mit jedem Aufwachen war etwas mehr Farbe in ihrem
Gesicht und ihre Stimme wurde auch wieder kräftiger. Es gibt schöneres, als ein leichenblasses Kind mit
Schmerzen...
Gegen Mittag setzte sie sich auf und starrte auf ihre blutbefleckte Unterlage.
Auweia, dachte ich - das ist jetzt zuviel für sie!
Und richtig - schon jammerte sie los:
Mama! Mama! Ich habe ja gar kein Kissen!
Ich hätte sie knutschen können, denn erstmals konnte ich etwas tun. Ich organisierte ihr ein Kissen, fand
die Spritze wieder, vesicherte, daß Teddy wieder ganz sauber wird und las ihr erneut das Buch mit der
grauen Katze vor.
Und plötzlich mußte sie auf die Toilette. Das von der Krankenschwester angebotene Töpfchen lehnte sie
mit Nachdruck ab. Sie sei doch kein Tittibaby mehr! Also schleppte ich meine große, halb erwachsene
Vierjährige über den Gang, stupste den Ständer mit dem Tropf vor uns her und suchte eine Toilette.
Irgendwann kam eine Krankenschwester, die uns von dem Tropf befreite. Ich zog Michaela wieder ihre
Sachen an, ihre Brille und ihre Spängchen und dann nichts wie rein ins Auto und ab nach hause!
Daheim erzählte sie sofort von ihrem Abenteuer - und daß sie nie wieder ins Dankenhaus will.
Krrrrrrankenhaus, sagten Felix und ich mechanisch - und oh Wunder, Michaela echote ein
Chrankenhaus