Extremer unterschiedlich können Freundinnen nicht sein wie meine Freundin
Christine und ich.
Wir haben uns in der Schule kennengelernt und zusammen das Abitur gemacht.
Sie ist schon damals sehr kräftig gewesen. Ihre Figur steht ihrem Temperament
nicht nach. Frech, laut, waghalsig, unbekümmert. Ich bin schon immer dünn
gewesen, schüchtern, vorsichtig, ein wenig zickig. Als ich mich neben ihr setzen
mußte, hat sie mich angeniest, wovon ich auch gleich eine dicke Erkältung bekam.
Bei einem Schulausflug dröhnte sie in die Runde, dass sie mit ihrem Freund und
einem Kumpel eine Wanderung durch die norwegischen Berge machen will. In meine
Richtung: "würdest Du denn mitkommen?". Ich spürte, dass sie mit einer Absage
rechnete, also sagte ich zu. Die Wanderung war ein Wahnsinn. Nach drei Tagen
ging uns der Proviant aus, drei Tage hatten wir noch vor uns.
Seitdem sind wir die besten Freundinnen.
Wir haben uns über all die Jahre nach Strich und Faden genervt, und zwar so
suptil, wie nur Frauen sich gegenseitig piesacken können. Sie protzte mit ihrem
Reichtum (Mann ist beruflich die Karriereleiter raufgefallen) und ich mit meinen
diversen Kenntnissen über irgendetwas (Ernährung, Kindererziehung,
Lebenserfahrung). Wir sind ja so supertoll und so tüchtig.
Aber wenn einer von uns Hilfe brauchte, konnten wir mit dem anderen rechnen. Am
angenehmsten ist, dass zwischen uns eine Vertrautheit ist, die manche
Wortwechsel erübrigt. Wir kennen uns mit unseren Macken und Vorteilen wohl
besser, als uns selbst.
Nun war ich vor ein paar Tagen zu ihrem 40ten Geburtstag eingeladen. Typisch
Christine, es war eine sehr laute Party mit sehr vielen Menschen und noch mehr
Essen. Am nächsten Tag ist keiner ihrer vielen Freunde da gewesen, der ihr beim
Aufräumen geholfen hat. Diese zwei Stunden Sauber machen hat unserer
Freundschaft ein wenig neuen Glanz verliehen.
Eigentlich hat mich ihre Party genervt, denn vieles hätte ich anders gemacht.
Null Organisation. Aber irgendwie war es doch wieder lustig, bemerkenswert
unbekümmert, so wie damals in Norwegen. Den Urlaub werde ich nie vergessen.
So bin ich nach dem Fest zu dem Schluß gekommen, dass ich in der Regel die
Überschaubarkeit brauche. Aber meine Freundin gibt mir mit ihrem Chaos kleine
Schupser aus den langweiligen Lebensbahnen. Für meine Freundin bin ich ab und zu
der Chaosordner, was sie dann auch genießt. Bei uns ist kein Eigenlob oder Lob
für den anderen mehr nötig. Wir sind wie Messer und Gabel, unvergleichlich und
für einander unverzichtbar.
Aber zusammenleben könnten wir nicht.
grilla am 07.10.2000
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