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Serena, 16 Jahre, bekommt ein Kind

Dienstag, 12. Februar diesen Jahres. Meine Tochter meinte abends, "ich muss Dir noch was sagen". Dann hat sie mir ein Ultraschallbild gezeigt und gesagt, sie sei schwanger in der 12. Woche. Der Arzt meint, das Kind sei gesund und sie würde es behalten. Sie wüßte das seit gestern.
Ich war vollkommen sprachlos. Das war das letzte, womit ich gerechnet hatte und das letzte, worauf ich mich einlassen wollte.
Meine Panik: Sie bekommt ein Kind und ich muss es großziehen. Ich hatte das eine Kind alleine großgezogen und bin auch jetzt ohne Partner. Beruflich bin ich seit zwei Jahren selbständig, d.h. lange Arbeitszeiten und (noch) geringe Einnahmen.

Weil meine Tochter sehr klar war in der Vorstellung, das Kind zu behalten, habe ich dann das Telefon genommen und mir Rat und Unterstützung gesucht, wer ihr diese Entscheidung ausreden könne.

  • Meine Freundin Laura ließ sich dann gleich meine Tochter ans Telefon holen und gab ihr die Hausaufgabe, in den nächsten Tagen umgehend sowohl mit jungen Frauen, die abgetrieben haben als auch mit jungen Frauen, die Kinder bekommen haben, Kontakt aufzunehmen. Serena konnte gleich kontern, dass sie sowohl für die eine als auch für die andere Situation junge Frauen kenne und den Kontakt gerne weiter pflegt. Außerdem hatte Marlies für mich den Hinweis, dass die Gesetzgebung in Holland großzügiger ist und sich über ein Gespräch mit einer deutschen Frauenärztin noch ein Weg finden ließe ggf. im Ausland eine Abtreibung vornehmen zu lassen.
  • Meine Freundin Helga brachte medizinische und psychologische Aspekte ein:
    Mögliche Folgeschäden einer Abtreibung, psychologische Konflikte nach einer Abtreibung.
  • Mein Freund Robert sah so direkt keinen Grund, dem Mädchen das Anliegen auszureden.
    "Vielleicht bist Du noch mal stolz auf sie, dass sie sich das getraut hat."
Zwischenzeitlich immer mal wieder kleine Gespräch mit meiner Tochter. Wie es denn überhaupt dazu gekommen sei. Ob wir zu wenig über Verhütung gesprochen hätten. Wohl nicht. Beiden war nicht klar gewesen, dass eine Schwangerschaft möglich war, sie hatten Präservative benutzt. Ich habe noch ein paar nervige Rückfragen gestellt, ob bekannt sei, dass der Mann auch vor dem Samenerguss schon Sperma verliert ... "Mama, wir lesen Bravo, das wissen wir".
Der Freund war zu diesem Zeitpunkt 18 und wollte das Kind ebenfalls behalten. Recht vernünftiger junger Mann übrigens, keine schlechte Wahl.

Ein Kunde, dem ich mit der Begründung "meine 16-jährige Tochter hat mir heute mitgeteilt, dass sie schwanger ist", per E-Mail mitteilte, dass ich das versproche Angebot nun doch erst ein paar Tage später ausarbeiten kann, schrieb zurück

  • "kleine Kinder, kleine Sorgen....: Unsere Kleine (11 Monate) hat sich heute beim Versuch, Laufen zu lernen, einen Zahn angeschlagen. (Da war'n es nur noch vier...)." Mit dem Angebot habe es im übrigen noch ein paar Tage Zeit.
  • Mein Bruder klärte mich darüber auf, dass es seine jüngste Tochter verhütungstechnisch eigentlich auch gar nicht geben könne.
    Auch bei sachkundiger Anwendung sind Präservative wohl tatsächlich nicht so sicher, wie ich mir das immer gedacht hatte. Im Übrigen brachte mein Bruder den Aspekt ein, dass ein Kind mit 16 einerseits natürlich und aus menschlicher Sicht zwar außergewöhnlich aber keinesfalls negativ sei.
  • Meine Freundin Rita hat ungefragt Termine abgesagt, um - falls ich Bedarf hätte - für mich da sein zu können. Ihr 24-jähriger Sohn, der meine Tochter seit Jahren flüchtig kennt, bot ebenfalls Gespräche mit Serena an, denn auch er hatte schon einmal ein Kind gezeugt (sich jedoch gegen Austragung der Schwangerschaft entschieden), und wusste aus dieser Zeit um die Schwierigkeit der Entscheidung.
Über diese Reaktionen, die ich innerhalb von 24 Stunden bekommen hatte, war ich vollkommen beeindruckt. Alle Beteiligten offenbarten sich mit ihren menschlichen Stärken.

Auch professionelle Ansprechpartner reagierten prompt:

  • Meine Frauenärztin konnte mir mitteilen, dass in Deutschland mittlerweile eine Abtreibung bis zur 14. Woche legal durchgeführt werden kann. Die Zeit sei knapp aber bei schneller Handlungsbereitschaft bedenkenlos ausreichend. Wenn das Mädchen jedoch das Kind behalten wolle, solle man auf keinen Fall daran rühren. Ich vereinbarte (sicherheitshalber) einen kurzfristigen Termin für meine Tochter, den ich aber später absagte. Der weiterführende Hinweis, "es ist unsere Aufgabe, unsere Töchter bei ihren Entscheidungen zu begleiten", trieb mir die Tränen in die Augen, denn ich war nicht der Ansicht, dass ich immer alles mitmachen muss, was mein Kind sich so ausdenkt.
  • Das Jugendamt verwies mich an den sozialmedizinischen Dienst. Das Telefonat hatte einen ähnlichen Tenor wie die Frauenärztin: Manch eine 16-jährige weiß besser was sie will, als eine 40-jährige. Ansonsten aber das Angebot mit meiner Tochter ein neutrales Gespräch zu führen, um irrationale Hintergedanken (wofür Serena dieses Kind wolle) aufzuspüren. Auch hier vereinbarte ich vorsorglich einen Termin.

Eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter einer Therapeutin, mit der ich mal zu tun gehabt hatte erbrachte prompt, dass eine bestimmte ProFamilia-Beratungsstelle sehr professionell und unabhängig (wertfrei) beraten würde. Dort habe ich umgehend einen Termin vereinbart und keine 24 Stunden nachdem ich von der Schwangerschaft überhaupt erfahren hatte, waren wir dort:

  • Meine leise Hoffnung, dass man meiner Tochter die Augen öffnen würde, wurde nicht bestätigt. Sie kam raus (ich hatte in der Beratung nichts zu suchen) mit einem Stapel Unterlagen von Mutter-Kind-Einrichtungen und dem Bericht, dass die Beraterin ihr alles Gute gewünscht habe. Einen Rückfrage meinerseits am nächsten Tag, ob ich die Beraterin noch mal sprechen könne ergab, dass ich für mich selber einen Termin haben könne, für das Gespräch, das meine Tochter gehabt hätte, gälte jedoch Datenschutz.
Aufgrund der Vielzahl an herzlichen/ kompetenten Reaktionen war für mich innerhalb von 24 Stunden klar, dass die Schwangerschaft nicht das Ende der Welt bedeutet, weder für meine Tochter, noch für mich und das wir ein Umfeld haben, das uns trägt.

Ich begann darüber zu flachsen, "bisher habe ich meinen Familienstand immer als alleinerziehend angegeben. Wenn meine Tochter ihr Baby hat, bin ich alleinerziehende Großmutter, ein Familienstand, der mir bisher gar nicht geläufig war".

Ich habe dann für mich selber noch ein Gespräch beim Sozialmedizinischen Dienst gehabt und bekam dort den sehr hilfreichen Hinweis, dass sich aufzuopfern keine wirkliche Hilfe ist. Nur wer auch auf sich selber achtet, kann helfen und geben ohne Ansprüche zu stellen. Komme was wolle, auch ich als Mutter habe das Recht, zu bestimmen wo meine Grenzen sind.

Das war ein wichtiger Hinweis. Ich hatte früher, als meine Tochter klein war, manches nicht unternehmen können, weil ich eben alleinerziehende Mutter war. Ich habe dann in die Zukunft geschaut, 'mit Anfang 40 bist Du eine freie Frau.' Das ist jetzt und ich wäre mit meinem Leben zutiefst unglücklich, wenn ich meine berufliche Selbständigkeit und so manche andere Freiheit jetzt wieder aufgeben müsste.

Aber wir hatten ja noch monatelang Zeit, die Details zu bedenken.

Für meine Tochter folgte eine schwierige Zeit in der Schule: Jede/r wollte die Nachricht persönlich mitgeteilt bekommen ("Ist es richtig, dass Du schwanger bist?"), die Mädchen reagierten völlig distanzlos, fassten ihr dauernd an den Bauch. Sie ist eine gute Schülerin. Sie ist unter jungen Müttern vielleicht auch außergewöhnlich. Das Bild, das Berichte über Mutter-Kind-Einrichtungen von minderjährigen Müttern vermitteln (15 Jahre, schwieriges Elternhaus, kein Platz wo sie bleiben kann, Freund hat sich gleich wieder verabschiedet), passt auf meine Tochter nicht. Ich habe nahegelegt, sie solle dafür sorgen, dass die Lehrer sie als eine Schülerin in Erinnerung behalten, die motiviert ist und Grips hat - wer weiß was später ist. Mittlerweile ist dann auch bei meiner Tochter die Einstellung gereift

  • auf jeden Fall die Schule abschließen (nach Geburt des Kindes die 10. Klasse machen),
  • wenn möglich Abitur,
  • denn sie will und braucht einen guten Beruf
  • 'ich muss schließlich ein Kind versorgen', sagt sie.

Ich bin beruhigt über diese Einstellung. Auch wenn im Bekanntenkreis einige Leute fassungslos sind über unsere geplante Herzlosigkeit (das Baby 8 Wochen nach der Geburt tagsüber zu einer Tagesmutter/ in eine Krippe zu geben), bin ich davon überzeugt, dass meine Tochter alleine zu Hause mit dem Baby nicht glücklich wäre. Und ich muss arbeiten.

Ein Segen ist unsere Wohnung - sie ist groß genug, um den Kindsvater als regelmäßigen Gast aufzunehmen und das Gästezimmer werden wir nun als Babyzimmer einrichten.

Tja, der Kindsvater, da gibt es natürlich ein par Details:
Er lebt bei Pflegeeltern. Erst wollte er es ihnen wochenlang gar nicht sagen, dass er Vater wird, weil er Sorge hatte, er fliegt dann raus. So ähnlich war es dann sogar: der Pflegevater und eine Pflegeschwester hatten so gravierende Schwierigkeiten das Ereignis zu verkraften, dass die Leute ihm nahe gelegt haben, mal für einige Zeit auszuziehen. Da war er dann bei uns. Ich habe den Aufenthalt von Anfang an befristet - um allen Beteiligten Gelegenheit zur Orientierung zu geben. Eigentlich wollte er mit meiner Tochter zusammen ziehen. Davon hatte ich abgeraten (die beiden alleine, eigene Wohnung, Baby, beide Schulpflichten, ...) und meine Tochter wollte auch lieber bei mir bleiben. Dann wollte er mit einem Kumpel zusammen ziehen. Das wurde aber nichts. Nun ist er doch wieder zurück zu seinen Pflegeeltern, wo sich die Stimmung mittlerweile wieder beruhigt hat. Er hat unseren Wohnungsschlüssel und kann kommen und gehen, wie er möchte. Aber hier bei uns wohnen, das tut dem jungen Paar ganz offensichtlich nicht sehr gut, die Beziehung muss vielleicht noch reifen.

Nach und nach haben wir dann manches rechtliche und finanzielle Detail gelernt:

Ich bekomme für meine Tochter nach wie vor (und auch in Zukunft) Kindergeld und eine kleine Halbwaisenrente (Vater durch Unfall verstorben, als sie 7 Jahre alt war).

Nach der Geburt bekommt meine Tochter zusätzlich für das Baby ebenfalls Kindergeld und Erziehungsgeld.

Beim Sozialamt läuft mittlerweile ein Antrag auf Finanzierung der Erstausstattung für das Baby, denn ich als Mutter bin in unserer Situation nur bedingt unterhaltspflichtig. Ich mache mittlerweile Pläne, dass ein Teil des Erziehungsgeldes für die Zukunft zurückgelegt werden kann. Da meine Tochter zukünftig o.g. Einnahmen hat und ein Kind in den ersten Jahren nicht teuer sein muss, könnte ich eine Haushaltshilfe finanzieren. Eine Spülmaschine ist vielleicht auch drin (und für den größer werdenden Haushalt zweckmäßig).

Wir haben jetzt Mitte Juli, der errechnete Entbindungstermin ist der 31. August. Serena hat die 9. Klasse mit gutem Ergebnis abgeschlossen. Mittlerweile sehen die beiden sich die Kliniken zur Entbindung an, meine Tochter hat die Literatur, die ich beschafft habe dankbar gelesen und ich merke, das wir in den Wertvorstellungen, wie man das denn so macht mit einem Baby wohl miteinander zurecht kommen werden. Wir haben uns nicht immer so gut verstanden, aber vielleicht profitieren wir heute davon, dass wir uns in der Pubertät

meiner Tochter schon reichlich auseinander gesetzt und gestritten hatten. Ich habe letzte Woche mit einer Gruppe zusammen gefastet - weniger wegen Gewichtsreduzierung sondern um mir kurz bevor es ernst wird noch einmal eine Auszeit zu verschaffen. Wenn ich nun bilanziere, wo ich stehe, kann ich sagen

  • die vage Angst, ob ich dem was da kommt gewachsen bin ist nicht verschwunden aber deutlich zurückgegangen. Ich weiß aber jetzt, dass wir das Potential für diese Situation in uns tragen. Wir haben alles was wir brauchen, wir müssen es nur aktivieren und darauf achten, das alle Beteiligten sich gegenseitig respektieren.
  • Ich bin gerne mit kleinen Kindern zusammen und freue mich auf das Baby.
  • Es ist alles sehr außergewöhnlich aber es ist mein Leben und ich möchte mit niemandem tauschen.
  • Die familiäre Situation wird mich zwingen beruflich zielstrebiger und effektiver zu sein als bisher. Das wird mir und meinen Geschäften nicht schaden.
  • Ich werde auch im Herbst mindest ein Mal pro Woche Salsa Tanzen gehen, das wird in Zukunft noch wichtiger für mich sein als jemals vorher.
  • Ich bin belastbar, ich habe keinen Grund an meinen Kräften zu zweifeln.
  • Vielleicht wäre es wichtig, endlich Geld für das Alter zurückzulegen, vielleicht wäre es wichtig, mehr kulturelle Angebote der Stadt wahrzunehmen, mehr Länder zu bereisen, mehr Freundschaften und Bekanntschaften zu knüpfen, ... aber ein Enkelkind ist auch eine tolle Sache und es gibt nichts, wirklich nichts, das mir jetzt davon läuft. Obendrein wird das Kind/ werden die jungen Leute nicht ewig bei mir wohnen:
    Eines Tages zieht meine Tochter mit dem Kind bei mir aus.

Wir machen das schon !

Brigitte am 21.07.02



wunderschöne Stiefmutterlinie

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