In Israel ist alles ein bisschen anders
Also, hier in Israel ist das alles ein bisschen anders, vielleicht
interessiert's ja jemand?
Erst mal haben Israelis nicht so hohe Einkommen, und die
Lebenshaltungskosten sind höher als in Deutschland.
Meine lieben Schwestern in Deutschland, die Diskussion, die wir hier
führen, ist eine Diskussion der Privilegierten. Es gibt eine Menge
Frauen, die sich das gar nicht leisten können, mit dem Kind zuhause
bleiben, auch wenn sie's gerne wollten. Deutschland ist immer noch ein
reiches Land, auch wenn die deutschen Medien das anders sehen.
Fast alle israelischen Muetter arbeiten bis zur Geburt; wenn ich
erzähle, dass in Deutschland eine Frau sechs Wochen vor der Geburt in
Mutterschutz geht, staunen alle.
Nach spätestens drei Monaten ist die Mutter wieder bei der Arbeit, und
das Kind in einer Tagesstätte.
Klingt Euch grausam in den Ohren? Ich hab's anders erlebt im Kibbuz und
will's Euch erzählen.
Hier gibt es ein Babyhaus, wie in jedem Kibbuz. Die Frauen, die im
Babyhaus arbeiten, sind dafür ausgebildet. In unserem Fall war die
Betreuerin unserer Kinder Esther vor vielen Jahren Kindergärtnerin
meines Mannes. Ich hatte nie das Gefühl, meine Kinder einer Fremden
anzuvertrauen, sondern einer sehr geschätzten älteren Freundin.
Wenn mein erster Sohn, der lange nicht durchschlafen konnte, mir die
Nacht zum Tag gemacht hatte und ich morgens für meine vier Stunden
Arbeit aufstehen musste, war ich zwar wie gerädert., aber ins Babyhaus zu kommen,
mit Esther über seine Probleme zu
beratschlagen, ein paar Stunden dann im Kindergarten nebenan zu arbeiten
und andere Leute zu sehen, immer im Wissen, dass ich zum Stillen gerufen
werde, sobald mein Junge mich braucht... das war ein weicher und guter
Übergang ins Arbeitsleben zurück.
Ich wusste immer, dass Esther Anteil nimmt an unserem Kind, als wäre es
ihr Neffe, und dass Alon sie sehr liebhat.
Der Kibbuz als kleiner Organismus kann es sich leisten, flexibel zu
sein: die Arbeitszeit wird langsam aufgestockt, und einer der beiden
Elternteile muss von nun an weniger arbeiten. (Alleinerziehende bekommen
einen freien Tag pro Woche.)
Die Väter sind meist an der Erziehung voll beteiligt; im Wartezimmer
des Kinderarztes sieht man nicht weniger Väter als Mütter.
Alle Öffnugszeiten von Läden und Büros innerhalb des Kibbuz sind so
abgestimmt, dass es für Eltern passt.
Die Wäsche wird zentral gewaschen, das Essen kostet wenig, der Kibbuz
ist grün, fast autofrei, und die Kindergärten sehr gross und schön.
Die ganze Erziehung hier ist sehr frei und gibt den Kindern viele
Rechte. Obwohl ich manchmal auch dumm denke, ach Gott, so eine Hausfrau
hat doch gar nichts zu tun, weiss ich, dass das gar nicht stimmt,
sondern ein böses Vorurteil ist. Jede Sache, die man/frau gut macht,
fordert den ganzen Menschen.
Als meine Jüngste geboren wurde, hat sich der Kibbuz als Rettung
erwiesen. Die Frühgeburt, die vielen Krankenhausaufenthalte, alles mit
zwei sehr kleinen Jungs zuhause... wie hätten wir das geschafft ohne
den Kibbuz?
Ich war fast zwei Jahre mit Ayala zuhause, bis sie gesund war, und habe
erst langsam langsam wieder angefangen zu arbeiten; zuerst in der
Wäscherei, wo ich dann verschwinden konnte, sobald meine Kleine hustete
und die Kindergärtnerin mich rief.
Ich werde das nie vergesen, wie die ganze Gemeinschaft es mir und meinem
Mann ermöglicht hat, diese Jahre in die Kinder zu investieren.
Wir, und damit meine ich auch die Kinder, identifizieren uns mit dem
Kibbuz. Eine kleine, menschlich organisierte Gemeinschaft, in dem einer
dem anderen hilft, das ist wohl die einzige Lösung. So eine Art
klassischer Grossfamilie.
Ich habe es jedenfalls nie bereut, hier meine Kinder bekommen zu haben.
Das Einzige, was mich ärgert, sind die gegenseitigen Vorurteile beider
Seiten.
Meine deutschen Freundinnen sind sicher, dass ich schlicht eine
Rabenmutter bin. Meine israelischen Freundinnen sind sicher, dass ich
als Kind einer "Nur-Hausfrau"(!!!) schwere Schäden davongetragen haben
muss.
Alles nach dem schönen Motto: wer's nicht so macht wie ich, macht was
verkehrt.
Ich möchte doch hoffen, dass die meisten Mütter das Beste für ihre
Kinder, Männer und sich selbst wollen und ihre Entscheidung
verantwortlich fällen.
Ich habe Glück gehabt, dass ich durch Zufall an einen Ort geraten bin,
der diese Dinge gemeinsam löst. Alleine geht es nicht.
Meine Kinder sind inzwischen 8, 6einhalb und 5 Jahre alt, und ganz
tolle, liebe Schmusekinder. Ausser meinem Mann und mir haben sie eine
reiche und stabile Umwelt. Sie haben ihre Betreuer/innen, Freunde,
Eltern und Grosseltern der Freunde und kennen hier im Kibbuz jeden Hund
und jeden Menschen.
Die Familie meines Mannes ist hier verwurzelt, die Kinder haben jede
Menge Tanten, Omas und Onkels im Kibbuz.
Mein Mann und ich werden beide nie die grosse Karriere machen, das fette
Geld verdienen oder uns die Finca auf Mallorca kaufen, aber, Gott sei
Dank, unsere Ehe ist gleichberechtigt und unsere Familie glücklich.
Mann, was für'n langer Sermon. Carola, wo ist der Rotstift?????????
Liebe Grüsse aus Kibbuz Dalia von Silja am 19.05.98
Rotstifte habe ich keine :-) - hat Michaela alle geklaut...
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