18.06.1997
Da unser Baby mehr als 10 Tage nach seinem eigentlichen Geburtstermin immer noch keine
Anstalten machte, geboren zu werden, übergab mich die Frauenärztin in die Obhut meines Krankenhauses
und meiner Hebamme, Petra. Petra und ich sind seit über 7 Jahren auch schon privat befreundet,
so daß ich mich bei ihr natürlich gut aufgehoben weiß. Sie hat auch schon die Schwangerschaft und
Geburt meiner ersten Tochter begleitet.
Aber auch sonst kann ich nur jeder Schwangeren raten, sich eine Hebamme zu suchen, die sie
betreut. Die meisten Krankenkassen übernehmen die Kosten dafür ohne Schwierigkeiten - und
es ist sehr schön, die Geburtsvorbereitung, die Geburt, die 10 Tage Nachbetreuung und später
evtl. noch die Rückbildungsgymnastik bei ein und der selben Hebamme zu machen - und dabei
vielleicht immer auf die gleichen anderen Schwangeren - oder Frischentbundenen zu treffen.
Ausserdem hat man für seine Fragen immer eine feste Anlaufstelle - und steht am Geburtstermin
nicht schwer atmend vor einer wildfremden, vielleicht einem persönlich höchst unsympathischen
Hebamme.
Ok, ok, ich hör ja schon auf zu predigen -
zurück zur Geburt. Etwas weiter hole ich aber trotzdem aus...
Samstag morgen brachte Felix unser Töchterlein zu meiner Schwester auf den Bauernhof,
während ich noch einmal meine Tasche umpackte und versuchte, mich darauf einzustimmen evtl.
an diesem Tag ein Kind zu bekommen. Mittags fuhren wir dann in das Krankenhaus, wo wir auf
ein weiteres Pärchen stießen, die mir aus der Geburtsvorbereitung schon bekannt waren und das
gleiche Problem hatten, wie wir - ein völlig geburtsunwilliges Baby - und sie waren sogar schon
2 Tage weiter, als wir.
Petra schloß uns verhinderte Mütter beide an den Wehenschreiber an - aber wie gemein, bei der
Konkurrenz gab es wunderschöne Wehenberge, während sich bei mir gar nichts tat.
Denis erzählte, daß sie die Sache mit dem Rizinusöl ausprobiert hätte und ich war sofort dabei, Felix
in die nächste Apotheke zu scheuchen, um mir auch Rizinusöl zu besorgen.
Petra machte dann bei mir aber einen sogenannten Belastungstest. Das heißt, daß ich über einen
Tropf - ich hasse diese Piekserei!!! - ein Wehenmittel bekam. Ich reagierte prompt und nun wurden
auch bei mir auf dem Wehenschreiber 30 Minuten lang bildschöne, gleichförmige Wehen festgehalten.
Wichtiger war allerdings, daß die Herztöne meines Babys unter dieser Belastung konstant blieben.
Nach den 30 Minuten durften wir erst einmal ein Eis essen gehen und ich freute mich, daß ich
weiterhin Wehen hatte - aber leider flauten sie doch wieder ab und als ich nach dem Eis noch mal
an den Wehenschreiber kam, waren sie weg.
Nun, wenigstens war das Eis lecker gewesen und die Herztöne des Babys trösteten uns auch.
Petra gab mir ein Öl mit nach hause, das ich alle 30 Minuten auf meinen Bauch massierte - und
homöopathische Kügelchen, die ich in Wasser auflöste von dem ich alle 10 Minuten einen Schluck
trinken sollte. Tat ich - aber Ihr ahnt, was sich Sonntag auf dem Wehenschreiber abzeichnete?
Richtig, nichts...
Ich weiß gar nicht, wie viele Stunden ich am CTG - also Wehen- und Herztonschreiber verbrachte
und wie vielen Geburten aus den angrenzenden Kreißsälen wir dabei lauschten. Ich kam mir ein
wenig vor, wie ein Passagier, der im Flughafen in der Wartehalle den startenden Maschinen nachsieht,
während der eigene Flug auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Wie ein Passagier, der sich
total auf die Reise freut, aber durchaus eine leichte Flugangst empfindet...
Am Montag versuchte Petra die Geburt mit einem Gel einzuleiten. Auch diesmal reagierte ich prompt
mit Wehen und wir spazierten den ganzen Tag entweder im sonnigen Krankenhauspark herum -
spielten Siedler, oder ich lag am Wehenschreiber und lauschte den anderen Geburten.
Irgendwann hörte ich wie Denis startete... zweimal schrie sie, dann hörte man unverkennbar
Babygeschrei und ich war einerseits irrsinnig froh für sie - andererseits gallebitterneidisch. Petra
war so nett, dafür zu sorgen, daß Denis und ich im gleichen Zimmer landeten. Mir versprach sie
mein Baby nun fest für den nächsten Tag. Schluß mit den sanften Versuchen - und ab an den
Wehentropf.
Weshalb sie das so lange wie möglich verhindert hatte, sollte ich Dienstag begreifen.
Morgens um 8 Uhr kam Felix und wir gingen gemeinsam zum Kreißsaal, wo eine andere Hebamme
mich schon einmal an den Tropf legte. Um 9 Uhr kam Petra dazu. Die Wehen waren gemein -
sie fühlten sich nicht an wie die Wehen, die ich damals bei Michaela gehabt hatte. Sie fühlten
sich absolut unnatürlich an und ließen sich kaum veratmen. Anfangs war das egal - ich war
wild entschlossen, mein Baby zu bekommen und die Vorfreude gab mir mir viel Kraft. Gegen Mittag
spürte ich Petras bedenkliche Blicke und ich ahnte schon, was kommen würde...
Mein persönlicher Horror: die PDA
Das ist diese Spritze, die man in den Rücken bekommt und mit der die Schmerzen betäubt werden.
Sicher eine sinnvolle Sache, aber wenn ich vor etwas Angst habe, dann wenn mir etwas in den
Körper gespritzt wird - besonders in den Rücken...
Nun, Petra holte sich Verstärkung in Form einer jungen Ärztin, die nun meinte, mich von der PDA
überzeugen zu müssen. Mußte sie aber gar nicht - ich vertraue Petra wirklich und wenn sie sagt,
daß die Spritze nötig ist, dann ist sie das halt - ich hatte nur vorher sicher gehen wollen, daß sie sie
mir wirklich nur setzen läßt, wenn es nicht zu umgehen ist.
Bei Michaelas Geburt hatte ich sie auch bekommen - was mir aber nicht etwa die Angst genommen
hatte, sondern schlicht dazu führte, daß ich diesmal ganz genau wußte, was mir Scheußliches
bevor stand.
Ich will hier keinem Angst machen - die PDA ist vermutlich nicht schlimm - ich habe schlicht und
ergreifend eine völlig überzogene Panik vor so etwas!
Der entsprechende Arzt wurde geholt - und war die absolute Niete!
Oh, vielleicht ist er als Arzt kompetent - aber menschlich scheint er irgendwie genetischer Abfall
zu sein! Die Rache einer Hausfrau...
Es war so, daß ich sofort und ohne zu zögern all seinen Anweisungen folgte. Petra hatte sich vor
mich gestellt, ich drückte meinen Kopf gegen sie, machte den Rücken rund, ließ die Schultern hängen
und versuchte nicht zu verkrampfen. Ich bin ja nicht blöd - natürlich mache ich, was mir der Arzt sagt,
ich will ja, daß das ganze möglichst schnell und reibungslos abläuft und endlich vorüber ist!
Nur hatte ich dabei weiterhin die Wehen, die im Sitzen nicht gerade einfacher zu veratmen waren und
zusätzlich hatte man mich an einen Blutdruckmesser angeschlossen, der sich alle paar Sekunden
lautstark und schmerzhaft aufblähte. (beim nächsten Mal wurde er etwas weiter oben am Arm
befestigt und tat rein überhaupt nicht weh...)
Dazu kam, ich gebe es zu - Angst und davon nicht zu knapp. Ich lehnte verzweifelt an Petra und
atmete was das Zeug hielt, während mein Rücken besprüht, abgerieben und verklebt wurde.
Dabei rollten fast die nervösen Tränen - aber lieber Herr Doktor - mein Rücken war wunderschön rund
und und und... Als nächstes setzte er mir eine örtliche Betäubung und dann stach er sofort die
PDA - und das tat sauweh! Unter dem Schmerz zuckte ich natürlich, drückte aber sofort mit dem
Rücken wieder dorthin, wo er es mir gesagt hatte - und wurde von ihm mit den Worten belohnt:
Herrje, wenn Sie ständig herumzappeln, gibt das nie was!!!
Schlau, wirklich schlau Herr Doktor - wenn jemand so richtig in Panik ist, ist es wirklich ungemein
tröstlich und so irrsinnig hilfreich, wenn man demjenigen noch etwas mehr Angst macht!
Ich merkte, wie mir speiübel wurde und mir dann auch noch schwarz vor Augen wurde - und vermutlich
wäre ich vom Tisch geplumpst, wenn Petra nicht vor mir gestanden hätte. Im nächsten Moment saß
die PDA und der unfreundliche Mensch verschwand aus dem Kreißsaal.
Ich weiß allerdings nicht, wieviel er noch von meinem "was für ein Arsch!"-Gezeter mitbekam.
Kaum eine andere Branche leistet sich einen derartigen Umgang mit ihren Kunden, wie es manche
Ärzte tun! Wenn ich mir vorstelle, ich würde meine Kunden so anfahren "Wo sie unterschreiben sollen?
Na, da wo Unterschrift des Kunden steht zum Beispiel... sie Depp..." Ne, tut man ja nicht, nicht wahr...
(höchstens im Geiste...)
Nun, egal - die PDA saß und wirkte wunderbar. Ich spürte die Wehen nur noch, aber sie waren kein
Grund mehr zu verkrampfen. Der Muttermund war "vollständig", das Baby mußte jetzt nur noch in den
Geburtskanal rutschen und dann würde ich es schwupps auf die Welt pressen.
Leider kam da Baby eine Stunde später wohl auf die äußerst dumme Idee, den Ellebogen hoch
zu nehmen, denn plötzlich hatte ich bei jeder Wehe einen reißenden, wirklich scheußlichen Schmerz,
der durch die PDA nicht gedämpft wurde. Dazu kam, daß das Baby nicht rutschte - nicht ein wenig.
Petra bat mich bei einigen Wehen kräftig mitzupressen. Das war prima - erstens spürte ich den
Schmerz nicht so und zweitens konnte ich endlich aktiv werden. Leider reagierte das Baby sofort
mit seinen Herztönen. Um auszuschließen, daß dies nur am Gerät liegt, sprengte Petra die Fruchtblase
(nein, tut wirklich nicht weh!) und befestigte eine Sonde an Babys Köpfchen. Sie schwor hoch und heilig,
daß ihm das nicht weh täte und auch keine Spuren hinterließe - trotzdem zappelte mein Bauch in
dem Moment heftig.
Danach durfte ich noch einmal mitpressen und prompt wurden die Herztöne schlechter.
Felix war mittlerweile ziemlich grau und elend im Gesicht. bis auf wenige Zigarettenpausen und
um mittags etwas zu essen, war er treu an meiner Seite geblieben - aber mit Einsetzen der
Schmerzen von mir ignoriert worden. Ich starrte aus dem Fenster - oder sagen wir mal, ich
starrte die dreckigen Fensterscheiben an und hoffte, daß die Zeit schneller verstreichen würde
und das Baby endlich in den Geburtskanal rutschte. Diese Schmerzen kamen völlig unabhängig
von meiner Atemtechnik, so daß ich einfach nur dalag und alle 2 Minuten hoffte, die Wehe möge
wieder vergehen. Petra lagerte mich auf die linke Seite, was noch schmerzhafter war, aber eine
bessere Lage, um das Baby zum Rutschen zu bringen. Nach drei Stunden tat sich was - mir wurde nach
jeder dritten oder vierten Wehe übel und ich mußte spucken.
Um 18 Uhr gab ich auf. 10 Stunden künstliche Wehen - seit 4 Stunden war der Muttermund komplett -
seit 4 Stunden völliger Geburtsstillstand. Eine Welle Selbstmitleid schwappte über mir zusammen.
Einmal hatte ich am CTG gelegen, als nebenan eine werdende Mami bei jeder Wehe "aua" oder
"Hilfe" sagte und ich hatte noch gedacht, daß man das nicht tun sollte, weil man da nicht so schnell
wieder herausfindet - nun lag ich selber da und schwelgte in melodramatischen Todessehnsüchten.
Aber nur kurz! Ich meine, Dramen passen eigentlich nicht zu mir - und plötzlich fiel mir eine andere
Fluchtmöglichkeit aus dieser Situation ein.
"Petra", sagte ich mit fester Stimme "ich will jetzt eine Vollnarkose und einen Kaiserschnitt!!!"
Nachdem ich es ihr einmal ruhig und vernünftig gesagt hatte, knallte ich es ihr mit jeder Wehe
quengeliger um die Ohren, bis sie mich beruhigte, der Oberarzt sei schon auf dem Wege, sie
dürfe das nicht alleine entscheiden.
Mit dem Oberarzt hatte ich Glück - der war sehr nett und nach kurzer Untersuchung meinte er, daß
ich leider wirklich meinen Kaiserschnitt bekäme - er sähe auch keine andere Möglichkeit.
Ich war einfach nur noch happy!
Oh, das klingt bestimmt idiotisch, aber ich hatte wirklich alles versucht, dieses Kind auf die Welt
zu bringen und auch Petra hatte tief im Nähkästchen gekramt und alle Hebammentricks hervorgewühlt -
nun sollte doch das OP-Team die Sache in die Hände nehmen!
Die Lage schien mir kurz zuvor noch so derartig hoffnungslos und ich war heilfroh, richtiggehend von
der Bildfläche zu verschwinden. Deshalb lag mir auch so viel an der Vollnarkose - ich wollte wirklich
nur noch weg - und ganz sicher wollte ich in keiner Form miterleben, wie man an mir herumsäbelte.
Kaum hatte der Oberarzt dem Kaiserschnitt zugestimmt, begannen von überall emsige Mediziner
aufzutauchen, die sich kurz vorstellten und irgendeine Unterschrift von mir haben wollten. Da meine Wehen
noch anhielten, begann ich die Entscheidung zum Doppelnamen zu bereuen.
Ich fand es ausgesprochen erheiternd, auf sämtliche möglichen Nebenwirkungen von Kaiserschnitt
und Vollnarkose hingewiesen zu werden - der Oberarzt mußte selber grinsen und meinte, daß es
schon irgendwo absurd sei, daß ich extra unterschreiben müßte, weil ich schließlich keine andere
Wahl hätte. "ne, danke, ich glaube, ich geh wieder nach hause..."
Auch Petra bewies ein profundes Kaiserschnittwissen, was mich total überraschte - sie schaltete ohne
Mühe um, rasierte mich und legte mir einen Katheder. Genau das, was man überhaupt nicht peinlich
findet... Nun, unter der Geburt härtet man ab - ich weiß noch, wie lustig ich im nachhinein die Kreißsaalbesichtigungen
vor der ersten Geburt fand. Wie man uns stolz vorführte, wie wohnlich der Raum wirkt und so -
man hätte mich später während der Geburt mitten auf den Neumarkt zwischen die Leute schieben
können, es wäre mir ja so egal gewesen...
Für mich gab es nicht mehr viel zu tun, ausser vom Bett des Kreißsaales auf eine Liege zu rollen und dann
von dieser Liege auf den Tisch im OP. Der sah dafür furchterregend aus - halb Liege, halb Gynstuhl.
Die Routine der wimmelnden Mediziner hatte etwas ungemein beruhigendes für mich. Der Oberarzt
diskutierte angeregt mir einer Krankenschwester über Schuhe, die wohl fortgeworfen wurden, was
er gar nicht gut fand. Nun, vielleicht ein seltsames Thema, aber sehr viel angenehmer, als wenn er
hektisch nach einem "Medizinerhandbuch für Kaiserschnitte" verlangt hätte...
Aus dem Augenwinkel sah ich Felix im grünen Froschanzug - meine Güte, schade, daß kein Filmproduzent
da war. Felix sah deutlichst besser aus, als jeder Dr. Brinkmann oder wie sie alle heißen... - vor allem
viel echter...
Um meinen Bauch herum wurde ein Gestell aufgebaut und mit grünen Tüchern abgehängt - überall an
mir wurden scheinbar Aufkleber befestigt. Dann bekam ich eine Sauerstoffmaske verpaßt und sollte tief einatmen.
Zu meiner Überraschung passierte nichts - der Anästhesist grinste, und meinte, da sei wirklich nur Sauerstoff -
die Narkose käme später über den Tropf, aber erst unmittelbar bevor sie anfingen, damit das Baby
davon nicht viel abbekäme.
Kurz darauf waren sie wohl alle bereit und ich merkte, wie ich einschlief...
Tja, und dann fehlt mir eine Stunde...
Im Aufwachen hörte ich Petra schwafeln. Sie wiederholte stur eine Grammzahl und eine Größe,
bis ich endlich begriff, daß sie mit mir sprach.
56cm und 4060 Gramm - "oh", dachte ich, "das ist groß!"
Ich fragte, wo Felix sei - er saß ganz versunken mit seinem Sohn auf einem Stuhl und kam gar nicht
auf die Idee, daß ich ihn auch einmal sehen wollte. Schließlich kam er und nun begann ein lustiges
Spiel, denn der kleine Schatz war in eine Decke gehüllt und ich ziemlich bewegungsunfähig und
noch etwas taumelig. Ehrlich gesagt, sah ich nur eine Stirn und zwei dunkle Augen - verkehrt herum -
als ich mein "oh, wie niedlich" von mir gab.
Soviel zur Geburt - Rest kommt später... :-)