
Rebellen von heute

Hinter mir lag ein vergnüglicher Kinoabend (Blow dry - über kurz oder lang), in meiner Tasche
ruhte die Fortsetzung von
Schokolade zum Frühstück.
Mit anderen Worten, ich war ein wenig zufrieden, ein wenig müde, ein wenig vorfreudig auf die Strassenbahnfahrt
und blieb gedankenverloren an einer roten Ampel stehen.
Gleich zwei rote Männchen - ob die Werbefuzzis davon inspiriert wurden, die für Binden mit dem
Hinweis werben, daß hin und wieder
ein kleiner, roter Indianer vor der Tür steht?
Entgegenkommende Fußgänger rempelten mich an der Schulter an und dann, dann sagte doch glatt einer,
ja, so eine Strasse ist schon gefährlich, da muß man fein aufpassen!
Ich registrierte, daß es sich um einen wirklich sämtlichen Trends folgenden Deppen handelte und
er doch tatsächlich mich meinte, weil ich die Frechheit besaß, bei einer roten Ampel stehen zu
bleiben. Verblüfft wurde mir klar, daß ich tatsächlich die einzige war, die stehenblieb.
Ne, das wird jetzt kein: die Welt ist so schlecht, alle gehen bei rot!
Weit und breit kein Auto in Sicht, es war schon dunkel, weit und breit kein Kind in Sicht - hätte ich
nachgedacht, wäre ich vermutlich auch herübergeflitzt, aber ich war halt gedankenverloren
stehengeblieben und - was mich nun doch überraschte - dafür angepöbelt worden.
Oh, und ich hatte auch nicht
so geguckt.
So halt. Ihr wißt schon - wie Leute halt
gucken, hinter deren Blick ein
ich habe ja nichts gesagt! das müssen sie wissen, ob sie hier
bei rot rübergehen und damit die Autofahrer gefährden, Kindern ein schlechtes Vorbild sind,
die deutsche Leitkultur unterwandern etc...
Nein, so hatte ich nicht geguckt. In meinem Gesicht lag eher die satte Zufriedenheit einer braven Hausfrau,
die einen schönen Kinoabend genossen hatte. Ich liebe diese Filme, in denen es eigentlich um nicht viel
geht, die in einem englischen Kaff spielen und deren Darsteller aussehen wie real existierende Menschen.
Die, die die Sandra gespielt hat, kannte ich irgendwoher - aber woher?
sie spielte die Freundin im Rollstuhl von Muriel in "Muriels Hochzeit" und ich glaube bei "my best friends
wedding" war sie es, die mit der Zunge an einer Eisskulptur hängenblieb Anm. d. Red.
Und in meinem Magen das wohlige Gefühl von Sushi und 3 Eisbällchen -
hang on - über die
Mischung sollte ich doch nicht weiter nachdenken
Mein Eis war schuld, daß wir viel Werbung verpaßten, bis ich es schliesslich vorsichtig in die
Tasche steckte und einschmuggelte, denn Eis esse ich im Schneckentempo und die Jungs an der Residenz-Kasse
finden die Vorschrift, daß man kein Eis mit hineinnehmen darf zwar auch doof, aber sie halten sich
brav dran. Brav, Hasso - hier hast du ein Leckerchen ...
Da ich meine Tasche (in Angst um Bridget) wie ein rohes Ei(s) an ihnen vorbeitrug, ahnten sie schon, wo mein
Eis auf die Schnelle geblieben sind. Aber hoffnungslos ist die Situation um sie noch nicht bestellt - sie
witzelten nur, liessen uns aber passieren.
Ja, all das spulte sich in meinem Hinterköpfchen ab - zusammen mit der Vorfreude, gleich zu erfahren,
wie es mit Bridget weitergeht - und da pupst mich so eine gepierct angepasste Dumpfbacke von der Seite an,
weil ich bei rot stehenblieb.
Nein, ich habe ganz sicher nicht unterschwellig kritisch geschaut.
Auch nicht aus mütterlicher Gewohnheit.
Klar kenne ich die Kinderfragen an den Ampeln und Schranken, weshalb denn da einer, ganz viele, alle (nur wir nicht)
bei rot gehen, aber das habe ich Michaela schon erklärt, daß mich das was andere, ganz viele,
alle (ausser uns) tun nicht interessiert und daß es mir reicht sie und Oliver zu
erziehen.
Dass man jemanden schon sehr lieben muß, um ihn zu kritisieren und zu
erziehen. Dass mir das
gar keinen Spaß macht mit meinen Kindern zu schimpfen.
Komisch, den Spruch kenne ich noch von meiner Mutter und ich habe ihr das nicht abgekauft. Wie kann man mit
soviel Energie und Wonne etwas tun, was einem angeblich gar keinen Spaß macht?
Mittlerweile weiß ich aber, daß es zwei Arten mütterlichen Gekeifes gibt (mindestens).
Einmal das pädagogisch wertvoll gemeinte, was mit sanftem
ich bin total geduldig und meine es gut-Gesäusel
beginnt und dann jenes, welches direkt so eine maschinengewehrartige Salve von
wie sieht das hier eigentlich aus?
das nennst du aufräumen? (Zähne putzen, sauber machen, kämmen, waschen etc.) ... undankbar ... nie ...
immer ....
Zweiteres könnte gelegentlich auf Kaffeentzug zurückzuführen sein.
So ein Entzug ist übel und sollte dringend vermieden werden. Ausserdem macht Kaffee schön!
Doch, doch - kalter schwarzer Kaffee soll schön machen. Ich nehme heißen Kaffee - der ist frischer und
frischer ist gesünder. Und dann tue ich Milch rein - ist gut für die Knochen. Und Zucker - ist
gut für die Nerven. Und macht schön - irgendwann ...
Michaela hat das schon durchschaut und unterbrach einmal eine Erziehungsmassnahme mit einem
Mensch, Mama!
Koch dir mal einen Kaffee! Habe ich dann auch getan und man sollte seinen Kindern ruhig einmal vertrauen -
es hat geholfen. Statt der langen Litanei sagte ich nur noch ganz cool -
räum jetzt auf mein Schatz,
sonst tue ich es und Michaela rannte regelrecht in ihr Zimmer und räumte auf.
Hach, wie das wirkt, wenn man einmal konsequent alles vom Boden in die Mülltonne befördert ...
Aber wie gesagt, ich neige nicht zur Erziehung fremder, gepiercter
Männer.
Und da fiel bei mir der Groschen. Im Grunde meines Herzens bin ich nämlich gar keine spiessige,
hüftgewaltige Reihenhausfrau, sondern ein moderner Rebell!
Doch, glaubt mir - die Sache ist irgendwann gekippt!
Früher mußte man sich dadurch absetzen, daß man sich die Ohrläppchen durchbohrte,
Sicherheitsnadeln in die Augenbrauen piekste, sich Jugendbilder der Mutter auf die Oberarme tätowieren
ließ etc. Heute muß man genau dies unterlassen, um von der breiten Masse abgelehnt zu werden.
Wenn ein Ex-Präsident dafür kritisiert wird, daß er nicht zugibt inhaliert zu haben, liegt
das nicht daran, daß er Hasch geraucht hat, sondern daß er nicht dazu steht. Out
ist man erst, wenn man wie ich nie einen Joint geraucht hat.
Ich merke schon immer, wie ich fast um Verständnis bettle, daß ich dies nie getan habe - schaut
mal, ich habe ja noch nicht einmal Zigaretten geraucht, wie soll ich da einen Joint ...
Lange habe ich gegrübelt, wie ich den spiessigen Eindruck abschütteln könnte. Gar nicht so einfach
mit Reihenhaus, zwei Kindern, Ehemann und Hüftspeck rebellisch zu wirken. Von der Idee, eine Harley
zu kaufen sah ich ab, weil die Garage bis oben hin voll ist mit Bobby Cars, Dreirädern, Kettcars,
Inlinern, Planschbecken und fremder Leuts Skier (Sperrmüll 23.08.01).
Meine BHs zu verbrennen brachte ich nicht über das Herz - ich hänge an meinen
Dessous und Himmel,
die sind zu teuer um sie einfach zu verbrennen. Ob es durchginge, bei Aldi günstig zuzuschlagen
und das dann zu verbrennen?
Und wie Madonna in ihrem "what it feels like for a girl" oder Thelma und Louise - selbstmordend in die
Freiheit, erscheint mir etwas zu endgültig ...
Aber was! Das Grübeln hat ein Ende, denn nun weiß ich, daß Rebellen von heute sich dadurch
abgrenzen können, daß sie an roten Ampeln warten.
Das bekomme ich hin - ha! Ich bin Catgirl, die flauschige Version ...