
neulich, im Supermarkt
31.10.1996
Früher haben mich solche Mütter wirklich befremdet, die starren Blickes den Bürgersteig entlang liefen -
gefolgt von einem verzweifelt weinenden Kleinkind. Soviel Gleichgültigkeit von einer Mutter, hat mich
irgendwie erschreckt.
Nun, mittlerweile weiß ich es besser...
Vollkommen unvermittelt forderte meine im Einkaufswagen sitzende Tochter "viele Bonbons und
einer Lutscher". Na, sie war wie immer sehr nett und hilfsbereit gewesen, hatte alle Waren mit voller
Kraft in den Wagen geworfen und mehreren anderen Kunden erzählt, daß ich ein Baby im Bauch
habe - ich versprach ihr also generös ein Bonbon.
Viele Bonbons und einer Lutscher!
"Nein, ein Bonbon oder einen Lutscher" sagte ich und ging mit ihr zur Kasse.
Michaela brüllte - teils unartikuliert - teils sehr deutlich
Viele Bonbons und einer Lutscher!!
Die junge Kassiererin zeigte mir mit Blicken, daß sie ihre zukünftigen Kinder deutlich besser erziehen
würde und ich ließ prompt das Portemonaie fallen. Hinter mir wartende Kunden, der Boden voller
Kleingeld und im Einkaufswagen mein brüllender "Goldschatz".
Es gelang mir zu bezahlen, die Waren in die Beutel zu stopfen und Michaela aus dem Einkaufswagen
zu heben, ohne ihr auch nur ein Härchen zu krümmen.
"Komm", sagte ich freundlich "gehen wir doch noch auf den Spielplatz!"
Michaela kletterte auf die Rutsche und brüllte
Viele Bonbons und einer Lutscher!
"Ok, dann gehen wir eben sofort nach hause", sagte ich, nahm die Beutel und ging voran -
100 Meter hinter mir und konsequent brüllend, meine Tochter.
Alle 10 Meter drehte ich mich um und bat sie, nicht mehr zu zanken, brav zu sein, mit dem
Blödsinn uafzuhören, sofort mit dem Blödsinn aufzuhören - wenn sie nicht sofort mit dem
Quatsch aufhörte, dann...
Michaela warf sich bei einer Nachbarin vor die Haustüre und brüllte
Viele Bonbons und einer Lutscher!
Ich machte kehrt, packte sie am Händchen - sie warf sich wieder auf den Boden - ich klemmte sie mir unter den
Arm und schleppte sie in unser Haus.
Die Tür war zu - und ich sagte mit fester Stimme, "wenn du jetzt nicht aufhörst zu brüllen, gehe ich in
den Keller und esse alle Gummibärchen auf!"
Michaela verzog sich schmollend in ihr Zimmer - und sobald ich wieder das Wort "Kind" sagen konnte,
ohne den dringenden Wunsch zu verspüren, selber zu brüllen, folgte ich ihr und wir redeten über unseren
Streit. Am Ende waren wir wieder versöhnt - und am nächsten Tag fragte sie mit lieben Stimmchen,
ob sie ein Bonbon haben könnte. Bevor ich mich zu arg freuen konnte, sagte sie:
"einer Bonbon und dann noch einer und dann noch einer..."