

Gestern war so ein Tag, bzw noch so eine Nacht, in der die Vergangenheit wieder wach wird. Vor Weihnachten
geht es mir oft so, daß ich in meine Kindheits-, bzw Jugendjahre zurückversetzt werde. Einerseits
liegt das daran, daß meine Mutter Geburtstag hat und ich mich plötzlich mit all meinen Schwestern
wieder an einem Tisch befinde. Stimmt nicht ganz, denn eine von uns lebt in Mexiko und fehlt dabei.
Dennoch reicht das kaum veränderte Esszimmer und die Anwesenheit der andern beiden, meines
Vaters und meiner Mutter, um einen zumindest wieder etwas im Früher schwelgen zu lassen - zumindest
sobald unser aller Nachwuchs nur noch als Lärm von ferne aus dem Schwimmbecken zu vernehmen ist.
Dieses Jahr kam der Wunsch meiner Eltern dazu, den Dachboden zu entrümpeln. Wir mußten unser
Spielzeug mitnehmen. Ein rührendes Wiedersehen mit meinem Lateinbuch, welches zum letzten Mal
einen leisen Piekser in meinem Magen hervorrufen konnte, bevor es
entsorgt wurde.
Gestern kam dann eine Party dazu, zu der mich Marion begleitete. Sie gehört zu den Menschen, die
gar nichts tun müssen und trotzdem hat man das Gefühl, gerade eine wunderschöne Zeit zu
haben. Weit hinter uns liegt eine gemeinsame Schulvergangenheit, gefolgt von unserer Disco-Zeit, die
gestern wieder wach wurde. Jeden Freitag und Samstag trafen wir uns zu Milchkaffee (mit Amaretto) und
ungezählten Backgammon-Runden im Schröders (Südstadt), gingen dann ins Ecksteins,
später ins 42 und dann auf den Gemüsegroßmarkt, frühstücken.
Der DJ gestern bereitete uns ohne zu wissen ein Spiel, denn er hing so an der Musik der 80er wie wir.
Ach, das war noch Musik - voller Gefühle, Dramatik und überhaupt - kein Vergleich zu dem,
was einem nun vorgesetzt wird. (ein Spruch an dem man eindeutig merkt, daß ich meine Jugend hinter
mir habe...) Schlimmstenfalls beginnt eines der 80er Lieder, um dann von einem Angehörigen irgendeiner
sozialen Randgruppe zerlabert zu werden - Jo Man!
It's a shame (Talk Talk)
Bei jedem Lied rieten wir den Titel, den Interpreten und ob wir dazu nun in der "kleinen Turnhalle" oder
in der richtigen Disco getanzt hatten. Disco in der kleinen Turnhalle. Wie lange ist der Frust her,
in einem dämlichen Kaff aufgewachsen zu sein, das als Naherholungsgebiet der Kölner taugt,
aber sonst nicht, gar nichts! zu bieten hat? Ja, denke ich jetzt daran zurück, sehe ich das auch
ganz anders. Weißt Du noch, wie wir früher immer spazieren
gerannt sind?
Endlose Spaziergänge mit unseren Hunden (richtige Hunde, nicht solche Kläffer mit Reihenhausneurose!).
Und was haben wir Sport getrieben. Ich dachte immer, sie hätte einen Motor im Hintern, weil
sie mühelos ihr Tempo halten und auf mich einreden konnte, während ich zu Seitenstichen
neigte. Vielleicht ihre einzige Chance, einmal zu Wort zu kommen?
Wie anders haben wir uns damals alles vorgestellt!
Das könnte daran liegen, daß ich immer sehr im Jetzt lebe und die Vorstellungen, die ich
mir von der Zukunft mache nicht nach ihrer Plausibilität hinterfrage. Mir war einerseits immer
klar, daß ich einmal eine Familie haben möchte, aber ich habe nie überlegt, weshalb.
Gut so, denn die Vernunftsgründe gegen Kinder, hätten mich von diesem Spaß vielleicht
abgebracht. Meine berufliche Karriere ist durch die beiden vollkommen ausgebremst worden. Nein, nicht
durch die Kinder selbst, sondern aus meinem Bedürfnis, für sie da zu sein. Ich denke, es
wäre sicher für die Kinder machbar, von Tagesmüttern umsorgt zu sein und ich könnte,
wenn ich wollte in meinem alten Beruf weitermachen - und vielleicht klappt das auch zum Ende des
Erziehungsurlaubs hin, aber derzeit ist es für mich zu wichtig für die beiden da zu sein.
Hätte ich meine
Webprojekte nicht, dürfte das auch anders aussehen... Diese
Art Improvisation ist neu für mich. Ich liebe gerade Wege - eine Ausbildung machen, in dem Beruf
arbeiten, darin brav Stufe für Stufe aufsteigen, Fortbildungen wahrnehmen etc. Nun bin ich
Bankkauffrau mit Kindern und Webseiten. Hach, was für ein Chaos!
Sind Sie die Redakteurin der Hausfrauenseite? Webmistress? Ich bräuchte irgendeine befugte Stelle,
die mir einen Titel aufs Auge drückt. Mein alter Arbeitgeber ist mir keine rechte Hilfe, da
er noch immer mit schwachsinnig amerikanischem Titel winkt. Amerikanische Berufsbezeichnungen sind
Klasse - Senior Travel Assistent - ist zum Beispiel kein Veranstalter von Seniorenreisen...
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, in die Multimedia-Branche einzusteigen?
ähm... Das erinnert mich an den Einstellungstest damals bei der Bank. Bankkauffrau wollte ich
natürlich werden, weil ich gerne mit Menschen arbeite (Pathologe war die Alternative...) und
Zahlen liebe (wäre mein Matheleher zu der Zeit nicht quicklebendig gewesen, hätte er sich
im Grabe gedreht...) und nicht, weil ich einen Job wollte, bei dem ich saubere Finger behalte, schicke
Klamotten tragen konnte und bereits in der Ausbildung über 1.000,- DM verdienen würde.
Was hatte ich mir nur dabei gedacht, eine Familie zu wollen? Nicht so eine Chaos-Familie mit nicht
verwandten Geschwistern und mehreren Vätern, wie ich es gewohnt bin, sondern eine
ordentliche
Familie. Das habe ich hinbekommen wie im Lego-Katalog. Vater, Mutter, Tochter und Sohn im Reihenhaus.
Seit Felix nicht mehr studiert, sondern das Familieneinkommen nach hause schleppt, sind wir so normal,
daß wir schon wieder aus dem Rahmen fallen.
Genau das habe ich gewollt, ohne je darüber nachzudenken, was es eigentlich bedeutet. Die besten
Mütter, das weiß ich jetzt, sind übrigens jene, die noch keine Kinder haben, aber
inbrünstig verkünden, was sie ihren Kindern nicht durchgehen lassen würden. Auch so
Geschöpfe, denen die Plausibilität ziemlich schnuppe ist.
Das würde ich meinem Kind
nicht durchgehen lassen! ist sicher schneller verkündet, als sie überlegt haben, wie
sie derartiges verhindern würden.
Interessant am Leben mit Kindern ist das Fehlen der Hintergrundmusik. Keine Band warnt einen mit passender
Musik vor einer bedrohlichen Situation. So sitze ich gemütlich strickend auf der Ofenbank meiner
Schwester, nippe gelegentlich an meinem Kaffee, während mein wonniges Söhnchen den Katalog
vom Bücherbund farblich aufpeppt. Draussen senken sich Schneeflöckchen auf die Wiesen und
Wälder und rumms fällt Oliver vom Stuhl. Meine Schwester hebt ihn auf ohne zu sehen, was ich
sehe. Es gibt diese Momente, in denen eine eiskalte Hand in einen hineingreift und einem das Herz
einfrieren möchte. Gefolgt allerdings von einem mächtigen
Tu-wasTritt in den Allerwertesten,
der einem das Hineinsteigern in jegliche Verzweiflung austreibt. Aus Olivers Hinterkopf rinnt das Blut,
also muß ich ihn so weit beruhigen, daß er mir einen Blick auf die Wunde gönnt.
Meine Schwester, die schon länger im Elternbusiness ist, erkennt schon am Getröpfel, daß
es nicht ernst ist und bringt ein sauberes Tuch, einen Eisbeutel und die Kaffeekanne zwecks Nachschenken.
10 Minuten später ist der Vorfall schon wieder vergessen. Ich wische meiner Tochter den Popo ab,
wasche mir die Hände und sehe im Spiegel, daß mein Pulli mit Blut verkleckert ist, wie das
Designer-Kostüm von Jackie Kennedy nach dem Attentat. Schwein gehabt, Schwein gehabt, Schwein gehabt...
Kinder... Am 01.01.2000 kommt die Powercat, mein Fleissprojekt im Internet neu als Katalog heraus.
Sie wird wie gewohnt unter zu finden
sein, aber eben ganz anders aussehen.
Bis dahin steht noch viel Arbeit an, bei der ich glücklicher
Weise einen geduldigen Partner habe. Bis heute ist mir nicht ganz klar, wie es mir gelungen ist, Peter
von der Idee eines Katalogs für Frauen zu begeistern. Jedenfalls könnte und würde ich
Tag und Nacht daran arbeiten, wenn ich mich statt dessen nicht
gelegentlich um die Kinderlein
kümmern müßte. Es kann wehtun, einer albernen Playmobil-Eisenbahn zuzuschauen, wie sie
Runde um Runde auf den Plastikgleisen hinter sich bringt. Was man in der Zeit alles tun könnte...
Andererseits habe ich gelernt, mir diese Momente nicht zu verderben. Die Stunden, in denen Oliver
mich quasi auf die Gleise kettet, mögen derzeit endlos scheinen, aber mir ist bewusst, daß sie
gezählt sind. Schliesslich habe ich das ja schon einmal hinter mir. Und eine fast Sechsjährige
kann einem gelegentlich schon sehr reif vorkommen.
Genieß das jetz gefälligst! rät
meine innere Stimme und brav lasse ich mich drauf ein. Ein Webprojekt ist eh nie fertig, also kein Grund
zur Ungeduld.
Mit Regina habe ich letzte Woche den Film "the straight story" gesehen. Ein wunderbarer
Film, der sich viel Zeit lässt und wenig an die übrigen Werke von David Lynch erinnert.
In Alvin Straight habe ich mich durchaus wiedererkannt. Ein Dickkopf, wie er im Buche steht. Ich würde es
vermutlich nicht schaffen, 10 Jahre nicht mit einem Menschen zu sprechen, den ich eigentlich liebe, aber
vielleicht hat Alvins Bruder Lyle ja auf das Schweigen bestanden. Als Alvin erfährt, daß
Lyle einen Schlaganfall hatte, beschliesst er, seinen Bruder zu besuchen. Ein Bruder ist ein Bruder.
Aber ein Dickkopf ist ein Dickkopf. Und Alvin ist alt und gebrechlich. Er hat selbst keinen Führerschein,
hasst es aber gefahren zu werden. Busse fahren nicht von Iowa nach Wisconsin, also verfällt Alvin auf die
wirklich schwachsinnige Idee, einen Anhänger an seine Mähmaschine zu hängen und dann
auf diesem Rasenmäher hunderte von Meilen zu fahren. Und die Rechnung geht auf. Alvin kommt ans
Ziel. Der Weg, der in aller Ruhe und gemächlich gezeigt wird, gibt ihm Gelegenheit für einige
wunderschöne Worte und Gesten. Wie er zeigt, wie ein einzelner Stock gebrochen werden kann, aber
ein Bündel, Sinnbild einer Familie, standhält. Und wie er meint, daß er mit dem Alter
gelernt hat, den unwichtigen Dingen keine Aufmerksamkeit zu schenken. Auch ohne Schneeflocken ein
wahrhaft weihnachtlicher Film. (keine Angst vor Lynch - die brutalste Stelle ist jene, bei der Alvin
seinen Rasenmäher erschiesst)
Die Advents- und Weihnachtszeit ist eine gute Gelegenheit, sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren,
mit stoischem Grinsen das Chaos zu geniessen. So waren wir heute tatsächlich mit den Kindern auf
dem Weihnachtsmarkt, kämpften uns mit dem Kinderwagen bis zum Kinderkarussel, verpulverten 10,- DM
für jeweils 3 ultrakurze Fahrten der Kinder, spendierten im Gewühle noch Lebkuchenherzen mit
Zuckergußschrift und fanden uns später in einem Nobelrestaurant namens Pizza-Hut wieder.
Wer noch keine Kinder hat, aber eine Ahnung davon bekommen möchte, sollte sich in den Pizza-Hut setzen,
die umgekippten Saftgläser zählen, die Mamis in den Katalog-Klamotten, die Papis mit den
fliehenden Haaransätzen und den dafür wachsenden Bäuchlein beobachten. Denn, auch wenn
es nicht so aussieht, das ist das Glück, das auf die Eltern wartet. Ketschup verschmierte Gesichter,
kalte Pizza für die Mütter, die zum dritten Mal auf der Toilette Schlangewarten durften,
von Buggys versperrte Gänge und eine Kellnerin, die bewundernswerter Weise keinen Schreikrampf
bekommt. Je nach Übermüdungsgrad der Eltern und Kinder hilflos strenge und vollkommen sinnlose
sitz gerade und
nicht mit den Fingern! die entweder vollkommen ignoriert, oder mit
allerliebsten Trotzanfällen und weiteren umgekippten Saftgläsern beantwortet werden. Und
mittendrin wird ein Baby gewickelt und mir fällt auf, daß es uns wirklich
saugut geht.
Besonders, da wir uns wöchentliche Ausflüge ins Singleleben gönnen und Lokalitäten
aufsuchen, in denen garantiert keine Kinder sind ;-)
Nachtrag:
die Powercat wurde im August 2011 in den wohlverdienten Ruhestand geschickt