
Was machst du eigentlich so, den ganzen Tag?

Wer mich und mein beschauliches Leben so sieht, empfindet entweder tiefen Neid oder schlichtes Unverständnis,
sofern er (eher sie) nicht selbst mit kleineren Kindern gesegnet ist. Vormittags schlendere ich gemütlich,
mit Oliver im Schlepptau zum Supermarkt. Während wir versuchen, diese nahezu 500 m Strecke zu
bewältigen, hasten die Menschen an mir vorbei zur Arbeit und dann wieder zurück nach Hause...
Oliver findet in der Zeit kleine Steine, vertrocknete Regenwürmer und andere Dinge, die er sammelt.
Oder er bestaunt mit offenem Mund ein vorbeifahrendes Auto, Flugzeug oder Rettungshubschrauber am Himmel,
Spaziergänger mit Hunden oder vorbeiziehende Schnecken...
Natürlich kann er dabei nicht weitergehen, keinen Schritt.
Auf dem Weg zum Supermarkt habe ich noch einige Trümpfe in der Hand. Ich locke zum Beispiel
mit dem Versprechen auf ein Rosinenbrötchen. Auf dem Rückweg ist mein einziger Trumpf die
Möglichkeit, ihn am Händchen zu packen und hinter mir herzuzerren, sofern gerade niemand in
der Gegend ist. Natürlich ist das vollkommen nutzlos, denn der kleine Mensch ist nicht dumm und
lässt sich sofort auf seinen kleinen Hintern plumpsen. Sitzstreik!
Also schlendern wir gemütlich. Er betrachtet die Grashalme, während mir die Beutel Striemen
in die Hände graben. Nachbarn kommen und gehen und beneiden mich um die Zeit, die ich augenscheinlich
habe und um dieses fröhliche Kind, das so putzig gerade darauf besteht, daß ich einige Steine
einstecke, die es selbst nicht mehr tragen kann.
Statt zu jammern, geniesse ich die Zeit an der frischen Luft, die Sonnenstrahlen oder Regentropfen,
das Naturschauspiel des nahenden Sonnenunterganges und das fröhliche Lachen meines Sohnes, mit
dem er einem Nachbarn gerade die Tulpen gekappt hat.
Was könnte ich in der Zeit schon groß tun?
Vielleicht ein Buch lesen, eine Fremdsprache lernen oder einen Roman schreiben...
Ja, natürlich könnte ich den Kinderwagen mitnehmen - tue ich auch oft. Es ist praktisch, denn dann
brauche ich die Einkäufe nicht zu tragen. Oliver liebt es, wenn er den Wagen schieben darf -
will sagen, er hasst es, wenn ich schiebe und wenn er etwas nicht mag, so kann er dies, wenn schon
nicht wortreich, so doch zumindest lauthals kommentieren.
An manchen Tagen schnalle ich ihn im Kinderwagen fest, stecke ihm einen Keks in die kleine Schmuddelhand
und jogge so schnell wie möglich zum Supermarkt und zurück. Allerdings ist mir nicht ganz
klar, was ich dadurch gewinne, denn der kleine Kerl braucht ja seinen
Auslauf und so schlendere ich
kurz darauf meist mit einer Kaffeetasse in der Hand hinter ihm und seinem Bobbycar her.
Gelegentlich klingelt jetzt mein Handy und ich unterhalte mich mit Freundinnen, die mich bitter beneiden
und mir von ihrem Bürostress erzählen.
Natürlich mache ich all dies nicht immer. Manchmal treffe ich andere Mamis und dann schauen wir unseren
Kindern zu, wie sie sich gegenseitig verhauen. Die Kinderlein sind nicht böse - unter Zweijährige
sind manchmal einfach nur etwas rabiater bei der Umsetzung gut gemeinter Projekte. So kann es durchaus
passieren, daß Leute sehen, wie mein Schnuckelchen mit einem Stein auf ein anderes Kind eindrischt,
ohne zu begreifen, daß er nur versucht, diesen Stein, den er selbst gesammelt hat, dem anderen
Kind zu schenken.
Gut, daß die andere Mutter das begreift. Na, schliesslich habe ich auch keine Zweifel gehabt,
daß ihr Herzchen meinem Sohn nur beim Rutschen helfen wollte und gar nichts dafür konnte,
als er dann hinfiel...
Ich gebe aber zu, daß Treffen mit anderen Kindern gelegentlich ein klitzekleinwenig Nerven kosten kann.
Dennoch denke ich, daß alles besser ist, als mit den süssen Kleinen im Haus zu sein, wo sie
dann auf die nettesten Arbeitsbeschaffungsmethoden kommen können, die man sich nur denken kann.
Zuletzt hat Oliver mir das
Badezimmer unter Wasser gesetzt, indem er mit einem kleinen Becher das
Wasser aus der Toilette schöpfte.
Du du du! habe ich geschimpft und alles wieder aufgewischt. Seltsam ist, daß er auf seine
große Schwester deutlich besser hört, als auf mich. Vielleicht hängt das mit den kleinen
Unfällen zusammen, die ihm gelegentlich zustossen, wenn er sie ärgert. Sobald die beiden einmal
alleine im Zimmer sind, passiert es, daß ich ein lautes "gib mir meine Puppe wieder, das ist meine
Puppe! Lass die Augen drin. Nein, nicht den Arm abbrechen! Gib sie her!" oder so höre. Kurz darauf
dann ein ohrenbetäubendes Geschrei.
Wenn ich das Zimmer erstürme, steht mein süsses Töchterlein mit ihrer Puppe im Arm da
und sagt mit unschuldigem Augenaufschlag, daß ihr Brüderlein gestolpert ist, während
besagtes Brüderlein mit rotem Kopf auf dem Boden hockt, laut brüllt, aber irgendwie triumphierend
einige Puppenhaare in seiner kleinen Faust schwenkt.
Ach, es geht doch nichts über Geschwisterliebe!