
Das Weihnachtschaos
26.12.98
Weihnachten, ich steh in der Küche und schmettere mein
je ne regrette rien
Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien
Ni le bien qu'on m'a fait, ni le mal
Tout ça m'est bien égal
Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien
C'est payé, balayé, oublié
Je me fous du passé
Avec mes souvenirs
J'ai allumé le feu
Mes chagrins, mes plaisirs
Je n'ai plus besoin d'eux
Balayés mes amours
Avec leurs trémolos
Balayés pour toujours
Je repars à zéro
Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien
Ni le bien qu'on m'a fait, ni le mal
Tout ça m'est bien égal
Non, rien de rien
Non, je ne regrette rien
Car ma vie
Car mes joies
Aujourd'hui
Ça commence avec toi...
Ach, ich liebe dieses Lied - wer die französische Sprache nicht so mag, versucht es
halt mit einem "I did it my way..." - kann man auch hervorragend schmettern!
Und, was war?
Sang ich das in gehässiger Vorfreude, weil ich ein besonders boshaftes Geschenk unter
dem Baum versteckt hatte?
Nein...
Hatte ich mir einen kalorienträchtigen Keks gegönnt?
Einen? aber das war es auch nicht
Nein, ich sang, weil ich in weiser Voraussicht viele Beutel von fertig geputztem
Tiefkühlgemüse gekauft hatte und nun mit einem Bruchteil der Zeit mein Weihnachtsmenü
zaubern konnte, die ich sonst aufwende. Die Vorsuppe hatte ich komplett Erasco
überlassen, was ich nur mit einigen Steinpilzen und einem Glas Weißwein vertuschte.
Oliver saß mit dunkel geränderten Augen und bleichem Gesicht in seinem Hochstühlchen,
knabberte an einer Gurke und sah meinem Treiben recht gebannt zu. Tiefkühlpackung auf,
Gemüse in Schüssel, bis zum "Bing" in die Mikrowelle gesperrt und dann mit frisch
gebratenem Bacon, Crème fraiche oder Kräutern auf
liebevoll selbst geerntet und
zubereitet getrimmt. Im Schmortopf schmorte brav der Schmorbraten (mit Tiefkühlsuppengemüse) -
einzig die Kartoffeln und Gurke wurden handgeschält und geschnippelt.
Natürlich hat dieses lieblose Treiben eine Vorgeschichte, die aber nicht unbedingt
appetitlich ist. Michaelas Armbruch hatte den Geistern der Weihnacht als Schikane
nicht gereicht und so schickten sie uns noch eine entzückende Magen-Darm-Grippe,
die Oliver ziemlich nachhaltig und Michaela und mich einmal, dafür aber heftig erwischte.
Ich meine, von Olivers Kotzerei habe ich doch tatsächlich am 19.12. schon berichtet -
nun, am 24.12. kam es bei ihm zum Finale. Schade, daß Kleinkinder nicht am liebsten
splitterfasernackt in der Badewanne sitzen, wenn sie spucken müssen... es wäre sooooo
praktisch! Man hätte neben dem bleichen, schmusebedürftigen Nachwuchs wenigstens nicht
noch einen explosionsartig anwachsenden, säuerlich duftenden Wäscheberg am Hals...
Nun, statt Montag schon einmal vorzukochen oder wenigstens gescheit zu planen und
einzukaufen, lag ich im Bett und schlief. Oder war wach und hoffte inständig, ganz
schnell wieder einzuschlafen, denn mein Magen versuchte scheinbar, sich umzustülpen.
Ansonsten ja nicht so schlimm - man schläft und erholt sich, vermeidet den Gedanken
an Nahrungsmittel, insbesondere jene, die Fett enthalten und die Welt läuft trotzdem
weiter. 3 Tage vor Weihnachten drängen sich aber selbst den Magenkranken Gedanken an
Gänse auf - möglichst solche mit Reis-Rosinenfüllung.
Mein Weihnachtsmenü hatte ich längst geplant - nur für den Brunch am folgenden Tag
mußte ich mir noch etwas einfallen lassen. 2 meiner Schwestern samt Anhang und den entzückenden
5 Neffen und Nichten würden kommen - nicht zu vergessen, auch meine Eltern.
Am Dienstag beschloss ich mit aller Macht, wieder gesund zu sein. Einmal Duschen,
2
Aspirin und eine Tasse Kaffee später gab ich das dann auf und beschloss, einfach
irgendwie auf den Beinen zu sein und das Buffet zu planen. Worauf hatte ich denn
so Lust? Zwieback, Knäckebrot, Reis und Fencheltee?
Nicht so das Wahre für Weihnachten...
Meine Mutter hatte auf den Anrufbeantworter gesprochen, daß sie eine Fischplatte mitbringen
würden. Oliver spielte mir das ca 15.000 Mal vor und mein Magen machte jedes Mal einen
kleinen Hüpfer, wenn das Wort "Fischplatte" fiel. Dabei ist sie köstlich und bei uns
auch schon Tradition. Ob es reichen würde, wenn ich dazu Zwieback, Knäckebrot, Reis
und Fencheltee reichte?
Ein Schwesterlein kündigte Salat an, die andere das Dessert.
Französische Käsesuppe, Hackbraten und herzhafte Blechkuchen, beschloss ich schnell,
während ich meinen Magen mit Fencheltee betäubte.
Dann plante ich den Ablauf des 24.12. auf die Minute durch, um alles zu schaffen, wofür
dann später unter anderem dem Weihnachtsmann gedankt würde. Natürlich machte ich den
Fehler, Olivers Mittagsschlaf einzuplanen. Wenn Oliver schläft, dann...
Dummer Fehler! Natürlich schlief Oliver nicht, sondern machte mit einem herzhaften
*wurgs* auch noch meinen Planungspunkt "festliche Kleidung" zunichte. Meine Klamotten
drehten sich bald darauf mit Olivers zusammen in der Waschmaschine, während Oliver
seufzend und matt in meinen Armen hing. Keine Lust zu schlafen, keine Lust zu spielen -
Extremschmusing, bitte.
Felix hielt sich an seine Planungspunkte und verschwand mit Michaela in die Kirche.
Zurück blieb der ungeschmückte Baum und die noch kalte Küche. So ging das doch nicht!
Ich stellte Oliver auf den Boden, worauf er große Kullertränen vergoß - also wieder rauf
auf den Arm - aber mit Kind im Arm kann man keinen Braten anbraten oder Baum schmücken.
Irgendwann der rettende Gedanke, und von da an saß er bequem in seinem Kinderstühlchen,
hatte alles im Blick, hatte es bequem und ich konnte werkeln.
Als die beiden aus der Kirche kamen, lag ich natürlich weit hinter der Zeit, aber
Felix schaltete sofort, als ich erzählte, daß Oliver jetzt dringend frische Luft
bräuchte. Unser Besuch trudelte ein und alle zusammen gingen noch eine schöne Runde
spazieren, während ich im kalorienverzehrenden Tempo treppauf treppab die Geschenke
holte und unter dem Baum aufbaute. Dabei versuchte ich noch vergeblich, mir das
Nasenbein zu zertrümmern, indem ich einen Geschenkestapel schräg hielt und Lara Croft
in ihrer Verpackung zum ersten Schlag ausholte. Ein Glück hielt meine Nase den freien Fall
nach der Packung auf - nicht, daß das Päckchen eine Beule bekommen hätte...
Als wir dann später (viel später) gemütlich bei Tisch sassen, hätte ich meinen Kopf
zu gerne ein wenig auf den Schmorbraten gelegt und geschlafen - besonders bei dem
Gedanken, daß am nächsten Tag um 11 Uhr die nächste hungrige Horde vor der Tür stände.
Diesmal hatte das Schicksal aber ein Einsehen, zerstörte mal eben den Futterwagen
und so kamen alle ein Stündchen später, weil man ja schlecht die 70 Kühe hungern lassen
konnte, während wir tafelten.
Und insgesamt ist es wie jedes Jahr. Hinterher ist man ganz erstaunt, wie schön
Weihnachten doch immer wieder ist. Man liest so viel von öder Verwandtschaft und
dämlichen Geschenken, nörgelnden Leuten und ewig unzufriedenen Kindern - irgendwie
bleiben wir davon verschont. Selbst die Extrempubertierer unter dem Nachwuchs,
sangen mit und brachen das Lächelverbot, das zu herrschen scheint.
Meine Nichte schlang sich ihre neue Kette zu den anderen Ketten und Halstüchern um den
Hals und mein Neffe fand die Uhr mit dem Weihnachtsmann tatsächlich "voll gut, ey".
Bei den kleineren Kindern hat man ja noch so eine halbe "Freugarantie". Der Zehnjährigen
hatte ich in einem akuten Anfall von Feigheit noch schnell Glitzernagellack gekauft und
den selbstgestrickten Pulli zeigte ich ihr so nebenbei. Der Gedanke, sie würde den
Pulli auspacken und einen Flunsch ziehen, oder in Tränen ausbrechen, war überzogen
- sie mochte den Pulli tatsächlich und nahm ihn auch noch mit.
Michaela mußte zwischendurch ein einziges Mal kurz mit den Tränen kämpfen. Der Moment,
als alles ausgepackt war und tatsächlich nichts mehr unter dem Baum lag war hart. Da
freut man sich Woche um Woche auf Weihnachten und dann ist es vorbei.
Gerade, als ich trösten wollte, fing sie sich aber und entdeckte, daß Oliver seine
Sachen noch nicht ausgepackt hatte. Sie
half ihm also. Wirklich erstaunt war
ich, als er mit ihren Sachen durch das Haus zog - selbst die grauslige Babypuppe,
die echt krabbeln und schreien kann, solange die Batterien sie lassen, ließ sie
verschleppen, ohne besitzgierig und entrüstet loszubrüllen. "Ich darf ja auch mit
seinen Sachen spielen", meinte sie ruhig und schob die Kugeln über seine Motorikschleife.
Vermutlich ist es nicht ungewöhnlich, aber ich mag die junge Dame doch verdammt gut leiden!
Weihnachten - ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie das ohne eigene Kinder ist.
Mit Kindern ist es chaotisch, laut, nie so wie geplant und voller Momente, wo man
dem Göttergatten innig in die Augen blickt und dort die gleichen sentimentalen
Tränen glitzern sieht, mit denen man selbst gerade kämpft.