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Leseprobe von auf türkisgrünen Flügeln

 

Suzan Emine Kaube

Susan Emine Kaube

auf türkiesgrünen Flügeln

Kapitel 8: Briefe

Wenn mir die Schachtel mit den alten Briefen in meinem Schrank in die Hände kommt, flammt eine heimliche Trauer immer neu in mir auf. Es kommt mir vor, als ob die Briefe mich rufen wollten. Seit damals ist viel Zeit vergangen, und trotzdem halten mich die wenigen Erinnerungen wie eine Gefangene fest, obwohl von ihrem Feuer inzwischen nicht einmal die Asche übrig ist. Als wollten sie mich bis ans Ende des Lebens verfolgen, wann immer ich die Briefe sehe. Ich brachte es nicht übers Herz, sie wegzuwerfen, noch herzugeben, noch irgendwo in der Tiefe eines Schrankes zu verstecken. Ich hatte immer das Gefühl, daß ich sie ab und zu mal sehen müßte. Und so liegen die Briefe, die ich ein Leben lang aufgehoben habe, auch jetzt noch hier, im untersten Fach des Glasschrankes, in einem Pappkarton ....
Ich öffne den obersten Brief und muß an den Tag denken, an dem ich begann, mich zu verlieben. Ohne Briefe wäre das alles ganz anders verlaufen.

Es war im Jahre 1963 am Morgen eines herrlich warmen Julitages, vormittags so gegen zehn. Wieder einmal war die Fähre über den Bosporus fast am Ende ihrer Reise zwischen den zwei Erdteilen angelangt, in der sie hin- und herträgt, wen der Zufall will. Auch ich war darauf, demselben Zufall ausgeliefert wie so viele andere, ohne es zu wissen. Während ich mit meiner Nichte herzlich plauderte und lachte, fiel uns kaum auf, daß ein stattlicher Mann uns zusah. An diesem Morgen war das Wasser rings um das Schiff ganz klar, mit weißen Kronen auf den Wellen. Immer wenn das Wasser herauf spritzte, sprangen wir lachend zurück, um uns gleich erneut vorzuwagen. Für mich war alles ganz normal, die Welt völlig in Ordnung. Nichts hätte anders sein müssen, und so war auch mein Herz, ganz unbeschwert und rein.
Wie er mir später erzählte, hatte ich ihn einfach angehört, ohne zu ahnen, daß seinetwegen mein Leben völlig durcheinander geraten würde: In meinem weißen Kleid sei ich so schön wie eine Porzellanfigur, versuchte er mir klar zu machen. Mit meinen ausgewogenen Bewegungen und meiner Fröhlichkeit ganz wie von einer anderen Welt. Sah unberührt aus und trotzdem voller Leben, und sei so anziehend wie eine Fee. Und schließlich, er könne sich diese Anziehungskraft gar nicht erklären. Ich meinerseits hatte ihm gesagt, daß seine schwarzen, blanken und eleganten Schuhe mir aufgefallen seien und daß die Männer hier auf ihre Schuhe nicht sehr achteten. Daß er im Ganzen und überhaupt eher westlich wirke und ihm die runde Brille besonders gut stünde. Auch daß er einen recht gebildeten Eindruck bei mir erwecke. Nachdem er mir dann noch erläutert hatte, daß er sich über diese Einschätzung freue und daß ich zweifelsohne ebenfalls eine besonders gute Schule besucht hätte, hatten wir die gegenseitige Prüfung unserer Persönlichkeit und Bildung hinter uns gebracht und beide mit Bravour bestanden.
Wir müßten uns natürlich über bestimmte Punkte einigen, führte er weiter aus, um unsere Freundschaft auf ein solides Fundament zu stellen, und könnten davon ausgehen, daß kein erwachsener Mensch hierauf verzichten würde. Ein Risiko wollten wir völlig zu recht beide nicht eingehen.
Obwohl unsere Bekanntschaft somit durch ein etwas naives Gespräch zustande gekommen war, hatte er erkannt, daß dies unbedingt die für mich angemessene Art und Weise war. Mit den Methoden eines erfahrener Psychiaters, der sich seinem Patienten sorgsam und ohne ihn zu verschrecken nähert, wie einem unerfahrenen jungen Menschen, nötigte er mich sogar ein bißchen und machte es mir unmöglich, 'nein' zu sagen. Und nachdem er mich erst von seiner Außergewöhnlichkeit überzeugt hatte, konnte er sich meiner sehr schnell habhaft machen, wie man ein kleines Kind auf den Schoß nimmt, um es abzulenken.
Als ich dann aber wieder allein war und mir klar machte, wie geschickt er war, fiel mir selbst auf, daß ich naiv gewesen und dabei war, geradewegs in eine Falle zu tappen. Ich sagte mir, ich müsse aufpassen, und daß es wirklich überflüssig sei, so einem alten, erfahrenen Fuchs ins Netz zu gehen, unglücklich zu werden und mein Leben völlig durcheinander zu bringen.
Wie alle hatte ich meine eigenen Pläne und war mir über die verschiedenen Voraussetzungen im Klaren, die ich zu deren Erfüllung brauchte, wenn ich auf sicherem Boden bleiben wollte. Vor allem aber war ich ein Mensch mit klarem Verstand, war in der Lage, aus dem was rings um mich passierte, die richtigen Lehren zu ziehen und verfügte über genügend Sensibilität, um die Dummheiten der anderen nicht auch noch selbst zu wiederholen.
Die ersten Vorgespräche waren also nach einem sehr gewöhnlichen Klischee verlaufen, aber mein damaliger Gemütszustand hatte dies so ermöglicht. Es war, das merkte ich erst später, ein ganz bewußt geplantes Gespräch. Trotzdem mußte ich anerkennen, daß dieser Auftakt meinem Seelenzustand angemessen verlaufen war und ich mich nicht beschweren konnte. Daß es vielmehr so sein mußte, der einzige Weg, auf dem der 'Doktor' mit mir in Beziehung treten konnte.
Während meine Nichte und ich so eifrig mit den Wellen spielten, hatte sich der Mann neben uns gestellt und uns ein bißchen zugelächelt.
"Daß Sie naß werden, macht Ihnen scheinbar wenig aus?" fragte er.
"Ach nein, es ist doch warm, wir werden schon wieder trocken werden!", sagten wir und blickten auf.
"Oh, meine Uhr ist stehen geblieben. Wie spät ist es bei Ihnen?"
"Zwanzig vor elf."
"Ich danke Ihnen!"
"Gern geschehen!"
"Sie sind bestimmt aus Istanbul!"
"Ja. Sie sind wohl nicht von hier?"
"Nein, ich komme aus Ankara!"
"Ach, ja?"
"Ob es wohl möglich wäre, daß mich ein so hübsches junges Mädchen mit Istanbul bekannt macht?"
"Natürlich! Sehen Sie, das hier ist der 'Galataturm', das dort das 'Topkapi Serail', und das da drüben das 'Dolmabachtsche Serail'. Was weiter weg ist, kann man heute nicht sehen."
"Ob ich wohl bitten dürfte, daß Sie mir einen Tag lang auch das zeigen, was man heute nicht sehen kann?"
"Wollen Sie das wirklich?" fragte ich zurück und sah ihm ins Gesicht.
"Ja, ich meine das sehr ernst!"
Ich war rot geworden und hatte wenigstens ein bißchen mitbekommen, worauf er hinaus wollte. Es war mir aber ebenfalls bewußt, daß er sehr höflich war. Auch daß sich hinter seinen klugen Blicken eine ganz ungewöhnliche Persönlichkeit verbarg, hatte ich gleich begriffen.
"Ich weiß nicht!" sagte ich verlegen und mit rotem Kopf.
Als sich das Schiff der Anlegestelle näherte und ich aussteigen wollte, sagte er plötzlich:
"Warten Sie bitte einen Augenblick. Hier, an dieser Ecke, werde ich am nächsten Sonntag auf Sie warten. Wenn Sie nicht kommen, bin ich sehr enttäuscht. Nachmittags um zwei! Hier an der Ecke! Ich werde hier sein! Vergessen Sie es nicht!"
So trennten wir uns.
Während ich nun allein weiter ging, war es, als würde sich die Welt, in der ich mich vorhin noch frei wie ein Vogel gefühlt hatte, auf einmal wie ein Berg vor mir erheben, mich unter sich begraben. Ich fühlte mich so armselig und klein und konnte in die Gedanken, die mir im Kopfe wirbelten, keine Klarheit bringen. Dieses Gespräch, eigentlich ganz belanglos, hatte sich festgesetzt in mir. Nicht nur, was er gesagt hatte, beschäftigte mich, sondern vor allem, mit welcher Klugheit er imstande war, mich so zu fesseln. Sein Äußeres strahlte Reife und Bildung aus, und mit seiner geschmackvollen Kleidung traf er ziemlich genau den Typ, in den ich mich verlieben konnte.
Obwohl mir klar war, daß es sich hier um einen alten Fuchs handelte, hatte mir doch gefallen, wie er mich angesprochen hatte. Mit seiner höflichen Autorität hatte er mir diese Verabredung geradezu aufgezwungen. Und obschon ich mir bewußt war, daß es sich nur um ein Spiel handelte, fühlte ich mich sehnlichst zu ihm hingezogen und versuchte im Stillen doch, mir vorzumachen, daß es nicht wichtig sei.
So war ich hin und her gerissen, bis zum Tag der Verabredung. Doch endlich traf ich, nach langen Überlegungen, meine Entscheidung: Ich wollte ihn, naiv wie ein junges Mädchen ist, nicht vergeblich warten lassen.
Er wartete tatsächlich dort. So war ich nun mit flinken Schritten zu diesem Rendezvous gekommen, das für mein Leben eine so große, entscheidende Bedeutung haben sollte.
Innerlich leise zitternd näherte ich mich ihm und lächelte.
"Wie schön!", sagte er, "man kann sich also auf die Mädchen aus Istanbul verlassen!"
"Das weiß ich nicht!", gab ich zur Antwort.
Wir gingen am Bosporus entlang zu Fuß in Richtung Kabatasch. Dort hielt er ein Taxi an und wies es an, uns zu einem Restaurant in Bebek zu bringen.
Das fiel mir auf, denn angeblich kannte er sich ja in Istanbul gar nicht aus. Ich sagte mir, jetzt galt es aufzupassen!
Was ich an diesem Tag gegessen habe, um welche Zeit wir wieder weggegangen sind und wohin wir danach gingen: Ich kann mich nicht daran erinnern. Nur daß wir in einem sehr schönen Restaurant am Bosporus gesessen haben und daß ich sehr verlegen geredet hatte, immer voll Argwohn, daß diese Verabredung ein böses Spiel sein könne. Daß solche älteren Männer auf diese Weise auf junge Mädchen Eindruck machten und ihnen den Kopf verdrehten, hatte ich in vielen Büchern gelesen. Ich bildete mir ein, daß ich gut abschätzen konnte, wohin so eine Verabredungen am Ende führen würde, und nahm mir vor, gut auf mich aufzupassen. Auch die vielen Ermahnungen der Mutter wirkten noch. So kam ich mit der Erkenntnis nach Hause, ich müßte achtsam sein. Es war das beste, die Angelegenheit schnell zu beenden.
Er seinerseits war genauso achtsam wie ich und hatte zudem Erfahrung mit Frauen. Mit großem Geschick war es ihm gelungen, meine Hand zu ergreifen und mit lockerem Geplauder verstand er mit Erfolg, mich in die Richtung zu bekommen, die er sich wünschte. Von jetzt an wurde alles so gemacht, wie er es wollte. Es gab gar keine andere Möglichkeit, ich war nicht mehr nur seine Gefangene, sondern sein Eigentum. So war das also, was man 'Liebe' oder 'Leidenschaft' nennt! Und es sah ganz so aus, als gäbe es so leicht kein Entrinnen. Verzweifelt dachte ich hin und her und konnte mir trotzdem nicht klar werden, was richtig wäre. Ich sah, jetzt war es Zeit, die Lehre aus den vielen Filmen zu ziehen, die ich gesehen hatte, aus den Büchern, die ich gelesen und aus den häßlichen Beispielen in der Bekanntschaft, die ich erlebt hatte. Es galt, den gleichen Fehler nicht zu machen, den Weg nicht zu verlassen, der einer verheirateten Frau vorgezeichnet war. Ich würde meine Mutter glücklich machen, und das verwirklichen, was man von mir erwartete. Heiratsanträge trafen aus unserer Bekanntschaft reichlich ein, ich hatte mich jedoch dafür kaum interessiert. Was ich eigentlich wollte, war vermutlich das hier, die Leidenschaft, die ich im Augenblick erlebte. Trotzdem war ich überzeugt, daß dieser Augenblick vorübergehen würde und hatte den festen Glauben, daß ich meine Zukunftspläne würde realisieren können.
Aber stand es so denn auch um mein Herz?
Egal, ob ich kam oder ging, schlief oder aufstand, alles drehte sich immer nur um ihn. Wenn ich unterwegs jemandem begegnete, der ihm ähnlich sah, begann ich innerlich zu zittern und betete, er möge es nicht sein. In diesem Zustand wurde mir klar, daß ich ihm völlig in die Falle gegangen war, daß mich die Krankheit, die man 'Liebe' nennt, gänzlich im Griff hatte. Ja, ich war krank, und das im wahren Sinne. Wenn ich die Universität besuchte, hörte ich ohne Interesse zu und war so gleichgültig, daß ich niemand zur Kenntnis nahm. Ich aß und trank und versuchte nachts zu schlafen. Aber wenn ich die Augen schloß, mußte ich dauernd an die Zeit denken, die ich mit ihm verbrachte, und sah ihn fortwährend auf mich warten....
Er diente als Arzt in einem Nachbarort seine Offizierszeit ab und traf sich an den Wochenenden mit mir. Aber was für eine Art von Treffen war das! Er spielte seine Rolle als gestandener Mann, zehn Jahre älter als ich und natürlich mit all den Erwartungen, die dem entsprachen.
Ich dagegen konnte nur meine schlichte Freundschaft dagegen setzen. Was er darüber hinaus erwartete, war nicht meine Sache. Was war das doch für eine furchtbare Zeit: Ich konnte ihm diese schreckliche Leidenschaft nicht beweisen und hatte weder selbst etwas davon, noch konnte ich ihn daran teilhaben lassen: Nur wegen der verflixten Jungfernschaft! Wenn es die bloß nicht gäbe!
Wenn ich bei ihm war, war ich unfähig, zu reden. Um mich ihm mitzuteilen, blieb mir nichts anderes übrig, als zu schreiben. So schrieb ich einfach darauf los. Die meisten dieser Briefe landeten in der Schachtel, die ich jetzt im Schoße halte, nur einige gab ich zur Post. Er freute sich darüber, konnte aber nicht glauben, daß sie von mir stammten. Daß die fortwährende Schreiberei Schriftstellerfähigkeiten in mir geweckt hatte, wußte er nicht und mochte es nicht anerkennen. So fragte er, ob ich die Briefe wirklich selbst geschrieben hätte, ob ich sie jemand anders schreiben ließe. Man könne doch von einem jungen Mädchen wie mir nicht erwarten, daß es so schöne Sachen schreiben könne. Das müsse ich doch wohl verstehen!
Ich fühlte mich von diesen Worten ungeheuer schwer getroffen... .
"Warum lasse ich mir das gefallen?" fragte ich mich, "wenn er mir nicht glauben mag, soll er mich doch in Ruhe lassen!"

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