Ich bin drin! (die neuen Leiden der jungen W(ebmaster)

Ich gebe zu, sobald ich diese
ich bin drin-Reklame sehe, möchte ich weinen.
Und das, wo ich persönlich noch vor kurzem dachte, je mehr Leute im Web sind, desto besser, desto bunter!
Mittlerweile denke ich das nicht mehr, denn die Realität ist anders.
Den Neuankömmlinge im Web fehlt dadurch, daß es weniger Hürden auf dem Weg
in das Netz der Netze gibt, die dankbare Grundhaltung, überhaupt angekommen zu sein.
Es ist wohl mittlerweile
zu einfach und statt nun mit diesem süß dankbaren Boris-Grinsen
die Seiten im Web zu bewundern, zappen sich die Besucher gelangweilt durch eine immer mehr an
Las Vegas erinnernde Web-Landschaft.
Oh, es war einmal schön hier, möchte ich sagen - aber Ihr kommt leider zu spät!
Marketingexperten haben das Internet nämlich als Goldgrube entdeckt und nun wird gegraben
und geschürft an allen Ecken. Aus dem Wilden Westen wissen wir, daß die Sitten dort rauh
waren - das ist hier gelegentlich nicht anders.
Morgens wacht man auf und sieht sich umzingelt von
endlich einmal ein Angebot für Mütter, Frauen, Hausfrauen.
Oh Himmel,
wir wurden als Zielgruppe entdeckt und nun schiessen von überall Frauenportale
in zartrosa aus dem Boden. Was bei mir noch sanfte Ironie war, ist anderswo oft bitterer Ernst.
Andere Webseiten stören mich aber wenig, solange sie ihre Inhalte selbst erstellen, oder wie es jetzt
heißt, ihren
Content brav kaufen. Lautet die Botschaft der privaten Seiten meist altruistisch
habt Spaß (und dankt mir auf Knien), tönt auf den kommerziellen Seiten von allen
Seiten ein ermutigendes
kauft!.
In meiner Mailbox tummeln sich Kooperationsangebote. Wenn ich wollte, könnte ich auf der Seite
einen ganzen Basar aufmachen und vom Herrenhemd über Bücher, Sex-Toys, Spielwaren, Bio-Käse
und und und verkaufen. Naja, nicht wirklich verkaufen, nur halt an jedem Verkauf, der über meine
Seite zustande kommt satte 4 - 25 Prozent verdienen.
Der richtige Umgang mit Angeboten, die man nicht annehmen möchte, ist übrigens sie zu ignorieren.
Begehe nur niemand den Fehler, jemandem freundlich viel Glück im Web zu wünschen, aber
eine Kooperation oder gegenseitiges Verlinken aus nachvollziehbaren Gründen abzulehnen.
Die Mail dieser Leute klingen nämlich nur persönlich, sie sind es nicht wirklich.
Die Wirklichkeit sieht so aus, daß jemand 2.000 Mails verschickt, in denen steht, daß er
das Webangebot so toll findet, daß er unbedingt mit mir und keinem anderen kooperieren
möchte. Dass es doch klasse wäre, wenn ich künftig den Besuchern meiner Seite Lava-Lampen oder
eingelegten Blumenkohl anbieten könnte und dann noch steinreich würde durch die 3 Prozent,
die ich an jedem Verkauf verdienen könnte. Bei nur 5.000 verkauften Blumenkohlköpfen wären
das immerhin satte 20,- DM oder so...
Trash, löschen, vernichten!
Nicht antworten!
Denn, von diesen 2.000 Angeschriebenen kommt nicht ein einziger auf die Idee, Blumenkohl oder Lava-Lampen
zu verkaufen. Bestenfalls setzen sie den Absender der Werbemail auf einige (eigene) Mailinglisten, was
den jungdynamischen Blumenkohlverkäufer leicht verbittert. Und sollte nun irgendwer eine Absage
schicken, bekommt er den geballten Frust und Zorn ab.
Daher: nie etwas freundlich ablehnen!
Ein anderer Teil Mail beinhaltet konstruktive Kritik in der Richtung von:
weshalb gibt es hier keine Modetipps? Was für eine doofe Seite, ich dachte hier gibt
es Modetipps. Was für ein Schrott! Was fällt Euch ein, eine Seite ohne Modetipps zu
machen und die Löwenmäulchen finde ich auch zum Kotzen!
oder Anfragen, wie man einen Fleck, der eine Mischung aus Blut, Teer, Gras und Schmodder aus
einer westbengalischen Seidenbrücke bekommt. (ich verweise mit Engelsgeduld auf die Helftrubrik...)
An die Nörgelmails muß ich mich einfach noch gewöhnen. Vom Ton her erinnert es an
verwöhnte und übermüdete Kleinkinder. Die Mutterinstinkte in mir üben Nachsicht.
Denn sie wissen nicht, was sie tun... eher gesagt, was wir tun.
Die neue Besucherwelle im Web unterscheidet sich durch ihre ausgeprägte Konsumhaltung von den
Leuten, die früher zig Hürden zu nehmen hatten, bevor sie erstmals einen Blick auf die
berühmte Kaffeekanne werfen durften. Den Neuen wäre auch nur schwer zu erklären,
was daran so toll ist zu sehen, ob gerade irgendwo in den USA Kaffee in der Kanne ist, oder nicht.
Es war schwer, mir zu erklären, was daran toll war.
Weshalb ich lieber eine eigene Seite anfing, als zu schauen, ob der Kaffee fertig war. In Sachen
Kaffee bin ich halt ein Snob - ich brühe noch von Hand und das ist nicht Webcam-tauglich...
Allerdings habe ich nicht eine Sekunde mit dem Gedanken gespielt, denen eine Mail zu schicken,
daß ihre Seite öde sei...
Mein Ausweg aus dem Frust ist die Strassenbahn. Ein kleines Spiel ist es, mir vorzustellen, daß
die anderen Fahrgäste die Besucher der Hausfrauenseite sind. Täglich rollt eine Flut von über
4.000 Besuchern über die Seite. Und so sitze ich in der Strassenbahn und sehe eine vollkommen
geschaffte Frau, die frustriert feststellt, daß kein Platz mehr frei ist. Sie sieht aus, als
hätte sie Stress im Büro gehabt, einen wichtigen Termin verpasst, sei durch den Supermarkt
gehetzt, wobei ihr ein Fingernagel abgebrochen ist und gleich muß sie ihr Kind noch aus dem
Hort abholen und hat mit spitzen Kommentaren für 3,8 Minuten Verspätung zu rechnen.
Die Nörgelmail, daß es auf der Hausfrauenseite keine Modetipps gibt, verzeihe ich ihr
umgehend. Im Gegenteil, ich greife die Idee auf und schlage ihr vor, eine Rubrik mit Modetipps auf
meiner Seite aufzumachen.
Was dann passiert ist putzig - viele lassen sich die Idee, vom gelangweilten Konsumenten zum Macher zu werden
auf der Zunge zergehen. Klasse Idee - aber wenn sie schon etwas machen, können sie doch gleich
eine eigene Seite aufmachen, oder?!
Kurz darauf bekomme ich oft einen Link für die Frauenlinkliste - eine Modetippseite.
Naja, vielleicht schaffe ich es ja irgendwann einmal, Leute zum Mitmachen auf der Hausfrauenseite zu
bewegen. Denn Modetipps gibt es noch immer nicht...