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Wednesday, November 14, 2007

Vor der Entscheidung des Bundestages über die OEF-Mandatsverlängerung in Afghanistan

Konzertierte Aktion gegen die Armut statt Anti-Terror-Einsätze!

Köln, 14. November 2007. Kurz vor der Entscheidung des Bundestages über die
Mandatsverlängerung der „Operation Enduring Freedom“ (OEF) haben die
Organisationen medica mondiale und TERRE DES FEMMES verstärkte Anstrengungen für
einen zivilen Wiederaufbau – vor allem zu Gunsten von Frauen – anstelle einer weiteren
Aufrüstung in Afghanistan gefordert.
Im Rahmen des so genannten Krieges gegen den Terror sind in Afghanistan fast täglich zivile
Opfer zu beklagen. Erst am vergangenen Wochenende wurden nach Militärangaben 18
Menschen getötet, darunter eine Frau und zwei Kinder. Vor diesem Hintergrund ist die Lage
von Frauen und Mädchen in dem Land nach wie vor schlecht: Die Müttersterblichkeit ist die
zweithöchste der Welt, etwa 80 Prozent der Frauen und Mädchen werden zwangsverheiratet
und die Hälfte der Gefängnisinsassinnen wird aufgrund sogenannter „moralischer“
Verbrechen eingesperrt – also wegen vermeintlichen Ehebruchs oder Weglaufen von
Zuhause. Suizidversuche von Frauen und Mädchen nehmen zu und die gefährliche
Sicherheitslage bietet in vielen Familien einen Vorwand, weibliche Verwandte nicht aus dem
Haus zu lassen. Christa Stolle, Geschäftsführerin von TERRE DES FEMMES: „Unsere afghani-
schen Kolleginnen berichten, dass sich die Situation der Frauen seit dem Sturz der Taliban
kaum verbessert hat“.
„Frauen und Mädchen sind vor allem durch das Missverhältnis zwischen militärischen und
zivilem Engagement gefährdet,“ so die Geschäftsführerin und Gründerin von medica
mondiale, Monika Hauser. In den zivilen Aufbau fließt lediglich ein Viertel der deutschen
Gesamtausgaben für Afghanistan. Diese Unausgewogenheit müsse sich ändern. Die Truppen
würden aufgrund der schlechten Sicherheitslage derzeit nur sich selber schützen und kaum
mehr der Bevölkerung Schutz bieten können. „Wie will die internationale Gemeinschaft so
Herzen und Köpfe der Afghaninnen und Afghanen gewinnen?“, so Hauser weiter.
Im Interesse der internationalen und deutschen Politik stünden immer stärker die
Sicherheitsinteressen der Interventionsmächte, immer weniger spiele die soziale Not der
Bevölkerung in Afghanistan eine Rolle. Vor allem die US-geführte Anti-Terror-Einheit OEF
gefährde mit der aggressiven militärischen Strategie immer stärker die Sicherheitslage – vor
allem für die Frauen. „Die Operation Enduring Freedom muss daher so schnell wie möglich
raus aus dem Land,“ forderte Monika Hauser.
„Eine erheblich größere Summe als bisher muss in den zivilen Aufbau fließen, ein großer
Anteil daran in die Förderung von Frauenrechten und den Aufbau von direkten Dienstleis-
tungen für Frauen im Gesundheits-, Rechts- und Bildungswesen,“ erklärte die Geschäftsfüh-
rerin von medica mondiale. Die Bundesregierung müsse unbedingt darauf hinwirken, dass
auf allen Ebenen der Zusammenarbeit Frauen in stärkerem Maße miteinbezogen werden.
Christa Stolle betonte: „Auch wenn in der neuen Verfassung die Gleichberechtigung der
Geschlechter festgeschrieben ist, werden Frauenrechte mit Füssen getreten. Mehr Bildung
und Ausbildung, insbesondere der Mädchen und Frauen, sind der Schlüssel für mehr
gesellschaftliche Teilhabe.“ Bislang beteiligten sich Frauen bei dem zivilen Wiederaufbau in
viel zu geringem Maße – ein weiterer Grund neben der mangelden Bildung läge in der
extremen Gewalt an Frauen.
In einem Brief vom 14. November an die Bundeskanzlerin Angela Merkel wiesen die
Organisationen auf die Versäumnisse der Bundesregierung in ihrer Afghanistanpolitik und
auf die erheblichen Defizite des neuen Afghanistan-Konzeptes hin. In Frauen – als
wichtigsten Entwicklungsmotor einer Gesellschaft – werde nicht oder nur halbherzig
investiert und somit auf das Potential von mehr als die Hälfte der Bevölkerung verzichtet.
„Will sich das die Bundesregierung in ihrer Außenpolitik leisten?“ so Hauser und Stolle in
ihrem Schreiben.
Bei dem vorhandenen militärischen Engagement in Afghanistan – so bei den ISAF-Kräften,
deren deutsche Beteiligung erst vor kurzem verlängert wurde – müssten in verstärktem Maße
frauenspezifische Sicherheitsbedürfnisse berücksichtigt werden. So sollten den Truppen
Frauenbeauftragte angehören, die die Soldaten in Fragen des öffentlichen Schutzes von
Frauen beraten und auf eine stärkere Einbindung von Frauen bei der Identifizierung von
Wiederaufbauprojekten abzielen sollten. Diese Forderung findet sich unter weiteren in einem
Fazit eines Bericht von medica mondiale zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 für Frauen,
Frieden und Sicherheit.
medica mondiale setzt sich für traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten
ein und versteht sich als Anwältin für die Rechte und Interessen von Frauen, die sexualisierte
Kriegsgewalt überlebt haben. Neben gynäkologischer Versorgung sowie psychosozialer und
rechtlicher Unterstützung leistet medica mondiale politische Menschenrechtsarbeit. Die Organi-
sation engagiert sich seit 2002 in Afghanistan. Sie unterstützt Frauen und Mädchen auf medizini-
scher und psychosozialer Ebene, leistet Rechtshilfe, hat ein Netzwerk zum Schutz von Frauen
aufgebaut und setzt sich national und international für mehr Rechte für Frauen in Afghanistan
ein. Derzeit arbeiten drei internationale und etwa 70 lokale MitarbeiterInnen für medica mondiale
Afghanistan.
TERRE DES FEMMES ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation für Frauen und Mäd-
chen, die durch Aktionen, Öffentlichkeitsarbeit, Einzelfallhilfe, Förderung von Projekten und in-
ternationale Vernetzung unterdrückte Frauen unterstützt. Schwerpunktthemen sind u.a. häusliche
Gewalt, Zwangsheirat und Ehrverbrechen, weibliche Genitalverstümmelung und Zwangsprostitu-
tion. Der Verein wurde 1981 gegründet, die Geschäftsstelle befindet sich in Tübingen.
Der Bericht von medica mondiale zur Umsetzung der UN-Resolution 1325 in Afghanistan
liegt auf www.medicamondiale.org in englischer Sprache vor.

Posted by Carola @ 02:01 PM MEST [Link] [Lesermeinung: 0 (+/-)]

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