Kurzporträt von Dieter Wunderlich
Die Gymnasiastin Frida Kahlo wird 1925 beim Zusammenstoß eines Omnibusses und einer
Straßenbahn in Mexiko-Stadt schwer verletzt. Monatelang muß sie im Bett liegen. Für
eine unternehmungslustige Achtzehnjährige wie Frida ist das besonders quälend. Verzweifelt
sucht sie nach einer Beschäftigung und kommt auf die Idee, es mit Malen zu probieren. Die
Mutter läßt ihr eine Staffelei für das Bett anfertigen, damit sie es auf dem Rücken
liegend versuchen kann.
Auch als sie endlich aufstehen und mit Hilfe eines Spezialkorsetts wieder laufen darf, bleibt sie
bei der Malerei und bittet 1928 den berühmten mexikanischen Maler Diego Rivera, ihr Talent zu
beurteilen. Er ist begeistert.
1929 heiraten die beiden: Eine zierliche junge Frau und ein doppelt so alter Mann mit barocker
Leibesfülle, ein Exzentriker, der es liebt, andere durch haarsträubende Geschichten und
unvorhersehbare Verhaltensweisen zu schockieren. Über seine Seitensprünge berichtet die
Regenbogenpresse, aber er droht damit, jeden Liebhaber seiner Frau zu erschießen. Das hält
sie nicht davon ab, die gleiche sexuelle Freiheit wie er zu beanspruchen und beispielsweise dem von
Stalin verstoßenen Revolutionär Trotzkij den Kopf zu verdrehen, als er 1937 bis 1939 bei ihr
und ihrem Mann Unterschlupf findet. (Er wird 1940 in Mexiko-Stadt mit einem Eispickel ermordet.)
Im November 1938 zeigt eine New Yorker Galerie erstmals Bilder von Frida Kahlo, im Jahr darauf reist
sie zu einer Ausstellung in Paris, und 1940 beteiligt sie sich an der Internationalen
Surrealistenausstellung in ihrer Heimatstadt.
1939 ließen sich Frida Kahlo und Diego Rivera scheiden, aber ein Jahr später heiraten sie in
San Francisco zum zweiten Mal.
Obwohl sich Frida Kahlo mehreren schweren Operationen unterziehen muß und die Schmerzen zeitweise
ohne eine Flasche Brandy am Tag nicht aushält, hört sie nicht auf, zu malen, ihre Schüler
zu unterrichten und sich auch politisch zu engagieren, denn mit ihrem ganzen Tun will sie einen
Beitrag leisten in dem Kampf, den die Menschen um Frieden und Freiheit führen.
Am 13. Juli 1954, sechs Tage nach ihrem 47. Geburtstag, stirbt sie.
Leseprobe
aus: Dieter Wunderlich: EigenSinnige Frauen. Zehn Porträts
Als sich die Schmerzen im Rücken und im rechten Bein verschlimmern, erhält Frida Kahlo
1944 nach einer Wirbelsäulen-Operation ein neues Stahlkorsett.
Zwei Jahre später meißelt ein New Yorker Spezialist aus ihrem Becken ein Stück
Knochen heraus und verschraubt damit die gebrochenen Lendenwirbel. Sechs weitere Wirbelsäulen-Operationen
und einige längere Krankenhausaufenthalte folgen. Nach einem der chirurgischen Eingriffe
informiert ihre Schwester Leo Eloesser über Fridas Zustand: Ihre Verdauungsorgane waren
gelähmt, und sie hatte ständig über 39° Fieber. Dazu kamen anhaltende Übelkeit,
Erbrechen und unaufhörliche Schmerzen im Rücken, sobald ihr das Korsett angepaßt
worden war und sie auf der operierten Stelle lag. … Außerdem merkte ich, daß von ihrem Rücken
ein ganz übler Geruch ausging. Ich sagte dies dem behandelnden Arzt bei der Visite. Als sie das
Korsett öffneten, hatte sich ein Abszeß oder Tumor gebildet, die Wunde war tief entzündet,
und sie mußten wieder operieren. 1
Ab 1951 - also von ihrem 44. Lebensjahr an - ist Frida Kahlo auf einen Rollstuhl angewiesen und kommt
nicht mehr ohne Schmerzmittel aus.
Trotzdem setzt sie ihre Arbeit fort und beweist, daß ihre unendliche Vielfältigkeit
weder durch Leiden verdorrt noch durch Krankheit verkümmert 2 ist. Wieder malen Schüler
Frida Kahlos eine Pulquería aus. Als am 13. April 1953 in Mexiko-Stadt ihre erste Einzelausstellung
eröffnet wird, läßt sie sich in einem Krankenwagen hinbringen und auf einer Bahre
ins Gebäude tragen.
Einige Monate später wird ihr rechtes Bein bis zum Knie amputiert. …für mich war dies
eine Jahrhundert-Folter, und manchmal verlor ich fast den Verstand. Ich habe immer noch Lust, mich
umzubringen. Aber Diego hält mich zurück, weil ich so eitel bin, zu glauben, daß ich ihm
fehlen könnte. Er hat es mir gesagt und ich glaube es. Aber ich habe noch nie in meinem Leben
so gelitten. Ich werde noch eine Weile warten… 3 Im April wird sie nach einem Selbstmordversuch
im Krankenhaus behandelt.
Ihr politisches Engagement läßt sie auch jetzt nicht abflauen: Obwohl sie von einer
Lungenentzündung noch kaum genesen ist, beteiligt sie sich am 2. Juli 1954 im Rollstuhl an
einer Demonstration gegen den von der CIA unterstützten Sturz des sozialistischen Präsidenten
von Guatemala.
Elf Tage später, sechs Tage nach ihrem 47. Geburtstag, stirbt Frida Kahlo.
Sie hätte so viele Gründe gehabt, Schwäche zu zeigen und zu resignieren. Aber sie
schien gestärkt aus diesen Leiden zu kommen. Ihre Kräfte waren unerschöpflich. Ihre
Willenskraft, ihre Intelligenz und ihre physischen Kräfte schienen mit ihrem Leiden zu wachsen.
Bis wenige Monate vor ihrem Tod war sie ununterbrochen tätig. Dabei von seltener Heiterkeit und
positiver Einstellung - ein Beispiel von Arbeitsbesessenheit und Vitalität. ... Sie hätte
wirklich Gründe zu klagen und zu weinen gehabt. Statt dessen zeigte sie eine tiefe Liebe zur
Arbeit und zum Leben. 4
1) zitiert nach: Hayden Herrera S. 341f
2) Carlos Fuentes: Frida Kahlo. In: Vera Eckstein S. 184
3) Tagebucheintragung vom Februar 1954, zitiert nach: Erika Billeter (Das Blaue Haus) S. 262
4) Lola Alvarez Bravo, zitiert nach: Erika Billeter (Einsame Begegnungen) S. 11f
Literatur
- Isabel Alcántara: Frida Kahlo und Diego Rivera. München / London / New York 1999
- Ulrike Becker und Imke Krüger (Redaktion): Frei und Frau. Sieben eigenwillige Lebensbilder. Bensheim / Düsseldorf 1993
- Erika Billeter (Hg.): Einsame Begegnungen. Lola Alvarez fotografiert Frida Kahlo. Bern 1992
- Erika Billeter (Hg.): Das Blaue Haus. Die Welt der Frida Kahlo. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main. Ausstellung vom 11. März bis 23. Mai 1993: Ausstellungskatalog
- Vera Eckstein (Hg.): Kultfrauen. Fünfzehn Begegnungen. Mannheim 1996
- Hayden Herrera: Frida Kahlo. Malerin der Schmerzen. Rebellin gegen das Unabänderliche. Frankfurt am Main 1997
- Hayden Herrera: Frida Kahlo. Ein leidenschaftliches Leben. Frankfurt am Main 1998
- Rauda Jamis: Frida Kahlo. Ein Leben für die Kunst
- Frida Kahlo: Meisterwerke. München 1992
- Frida Kahlo: Ich malte meine eigene Wirklichkeit. München / 1999
- Frida Kahlo: Ich malte meine eigene Wirklichkeit. Bern / München / Wien 1999
- Andrea Kettenmann: Frida Kahlo. Leid und Leidenschaft. Köln 1992
- Andrea Kettenmann: Diego Rivera. Ein revolutionärer Geist in der Kunst der Moderne. Köln 1997
- J. M. G. LeClezio: Diego und Frida. München / 1995
- Barbara Krause: Diego ist der Name der Liebe. Frida Kahlo. Leidenschaften einer großen Malerin. Freiburg im Breisgau 1994
- Helga Prignitz-Poda, Salomón Grimberg und Andrea Kattenmann (Hg.): Frida Kahlo. Das Gesamtwerk. Frankfurt am Main 1988
- Linde Salber: Frida Kahlo. Reinbek 1997
- Raquel Tibol: Frida Kahlo. Frankfurt am Main 1980
- Martha Zamora: Frida Kahlo. Aufschrei der Seele. München 1995
- Dieter Wunderlich: EigenSinnige Frauen. Zehn Porträts. Regensburg 1999
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