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Liebeserklärung an den Mann einer Rubensmutter

Würde er noch leben, wäre mein Vater gerade hundert Jahre alt geworden. Er ist aber vor etwas mehr als dreizehn Jahren gestorben. Immer noch passiert es mir, dass ich bei irgend einem Gartenproblem zuerst denke:
"Ich muss Paps fragen." Dumm, was?

Wenn ich die prägnanteste Eigenschaft unseres Vaters nennen müsste, wäre es "Eigensinn". Ja, er war eigensinnig. Wenn ihm etwas nicht passte, war einer seiner Lieblingssprüche: "Ich sag gar nix, und das darf ich wohl noch sagen." Und "hebig" war er. Nein, nicht geizig, "hebig" eben. Es gibt im Schriftdeutschen wohl kein zutreffendes Wort, denn "knauserig" ist auch nicht richtig. Er war halt vorsichtig im Umgang mit dem hart verdienten Geld. Hart verdienen mussten es sich meine Eltern als Gemüsehändler und Gemüsebauern. Dennoch, unser Vater war ein lebenslustiger Mann. Er hatte einen trockenen Humor und freute sich über jede Kleinigkeit, ob das nun ein besonders schön gefärbtes Herbstblatt oder ein guter Geschäftstag war. Selten lachte er lauthals, er schmunzelte meistens oder lachte still in sich hinein, bis ihm die Tränen kamen. Für Leute, die ihn nicht kannten, war das sehr irritierend.
Vater liebte den kleinen Luxus. Dafür gab er Geld aus. Die Dinge mussten es ihm Wert sein, angeschafft zu werden. Das konnte eine schöne Blumenvase, eine gute Flasche Wein oder der beste Kaffee der Stadt sein. Ich erinnere mich, dass er einmal aus heiterem Himmel einen recht protzigen Ring für Mutter kaufte. Einen breiten Goldring mit grossem Opal und einem Kranz aus Diamäntchen. Als ich fand, dass er zu auffällig sei, sagte er nur, dass er zur Erscheinung unserer Mutter passe. Und dem war auch so. Ich habe heute diesen Ring. Er sieht an meiner Hand aus wie Christbaumschmuck. Schrecklich. An Mama war er schön.
Unser Vater hielt viel von guter Qualität. Die durfte dann, wie schon erwähnt, auch etwas kosten.

Für damalige Zeiten war unser Vater sehr fortschrittlich. Demokratie fand in unserer Familie ganz selbstverständlich statt, allerdings mit dem Schlusswort der Eltern, wenn die Sache dann doch zu haarig war. Hausarbeit war absolut keine Frauensache. Da wurde dafür gesorgt, dass jeder, ob Sohn oder Tochter, den Tisch abräumte, das Geschirr abwusch, das Abendessen vorbereitete, die Holztreppe bohnerte oder mit dem Staubsauger hantierte. Als Ergänzung dazu gab es aber auch keine Entschuldigung für uns Töchter, nicht im Geschäft zu helfen, Brennholz zu zerkleinern oder Holzkisten zu reparieren. (Ausnahme: Während der Menstruation war das Heben von schweren Dingen untersagt. Beide, sowohl Vater als auch Mutter achteteten darauf.) Es kam auch überhaupt nicht in Frage, dass ich, als ich anfing auf Tanzabende zu gehen, mir von einem Jungen die Getränke bezahlen liess. Immer steckte mir mein Vater etwas zu, damit ich im Notfall auch für den Jungen mitbezahlen konnte. Man bedenke, das war so um 1960. Wir trugen Pettycoats unter dem Brigitte-Bardot-Kleid und hatten eine Wespentalle. Vater begutachtete jeweils das "Outfit", bevor wir das Haus verliessen. Eine Tanzschule zu besuchen, die zugleich Benimm-Schule war, oder ein Musikinstrument zu spielen war Teil unserer Erziehung.

Oh doch. Vater und ich hatten manchmal Krach. Und wie! Ich bekam keinen Dufflecoat (Kartoffelsack mit Holzknebeln!) Jeans kamen überhaupt nicht in Frage. Dabei hatten Conny Froboess und Peter Kraus doch so schöne Jeans an. Ganz besonders krachte es aber, als ich die Handelsschule verlassen wollte, um eine Lehre als Grafikerin anzufangen. Ich musste die Schule beenden. Dann hätte ich Grafikerin werden können, aber da war die Gelegenheit vorbei. Vom heutigen Standpunkt aus gesehen weiss ich nicht, ob es gut oder nicht gut war. Ich habe meinen Weg gemacht. Ein gewisses Quäntchen an Eigensinn habe ich geerbt. Wenn ich also nur das gelernt hatte, musste ich es so gut wie irgend möglich ausüben. Mich weiter bilden, Erfahrungen sammeln, um daraus zu lernen, eigene Entscheidungen treffen, niemand nahm mir das später ab.

Vater war, wenn es darauf ankam, genau so eitel wie Mutter. Seine Anzüge waren immer geschneidert. Zum Anzug trug er stets einen Hut. Für Schuhe gab er viel Geld aus, denn die Füsse müssen einen durch das Leben tragen, da muss man gut zu ihnen sein. Für ein Paar Sandalen musste ich kämpfen und den Umweg über Mutter nehmen, für "angebundene Schuhsohlen" war ihm das Geld zu schade. Er konnte für eine Kleinigkeit viele Male an einem Geschäft vorbeigehen, um zu überlegen, ob es denn nun wirklich notwendig sei, dass er sich die Sache anschaffe. Das habe ich auch von ihm geerbt. Es macht mir nichts aus, drei-, viermal im Einkaufszentrum vor dem gleichen Artikel zu stehen und zu überlegen, ob es denn nun sein müsse. Meistens komme ich dann zum Schlusse, dass, wenn ich schon so lange überlegen müsse, es die Ausgabe nicht Wert sei. Dinge aber, die auf der Einkaufsliste stehen, werden auch gekauft. So preiswert wie möglich, aber nicht so billig wie möglich.

Ich habe erwähnt, Vater sei eigensinnig gewesen. Mit einem trockenen Humor. Ich glaube sogar, dass er das bis hin zu seinem Tode beibehielt. Ich bin fest davon überzeugt, dass er, wenn es doch nun sein musste, absichtlich dann starb, als es eisig kalt war. Wir erfroren beinahe, als wir hinter dem Sarg hergingen über den zugigen Friedhof. Noch heute bin ich mir sicher, dass Paps sich im Sarg ins Fäustchen lachte über den gelungenen Streich. Der Pfarrer, den ich schon zu meinen Mädchenzeiten kannte (und der mich gut genug kannte) lachte nur, als ich es laut heraussagte, das mit dem absichtlich in einer Kälteperiode zu sterben. Meine Geschwister waren empört.(Meine Geschwister, vor allem der ältere Bruder, sind und waren dauernd über etwas an mir empört.) Mama hat es nicht registriert. Sie nahm Abschied von ihrem Ehemann, mit dem sie mehr als fünfzig Jahre verheiratet war. Als sie die Hand voll Erde auf seinen Sarg warf, flüsterte sie: "Warte auf mich, Anton. Ich komme bald nach." Und so war es. Nicht einmal drei Monate später beerdigten wir unsere Mutter. Alles hatten sie in ihrem langen Eheleben gemeinsam getan. Warum sollten sie also nicht gemeinsam sterben?

Ich denke oft an meinen Vater. Wir haben dreihundert Apfelbäume gepflanzt. Wir sind morgens um vier Uhr mit dem Lastwagen "aufs Feld" gefahren, um Gemüse abzuholen. Anschliessend ging ich dann zur Schule. Meine Fahrstunden habe ich auf unserem Opel Blitz absolviert. Auf diesen gemeinsamen Morgenfahrten hat mir Vater erklärt, was ein "Puff" ist, warum man die Frauen da nicht verachten sollte. Er klärte mich im Rahmen des damals Üblichen auf. (Mit Mutter konnte ich darüber nicht sprechen, sie war für mich nicht die richtige Anlaufstelle, sie war für die Lösung anderer Probleme zuständig.) Papa erklärte mir, wie ein Motor funktioniert, welche Bäume am Strassenrand wuchsen, wie der Wirt in jener oder jener Beiz oder der Direktor der Fabrik an der Strasse hiessen .... Mit ihm ging ich all die Jahre, von klein auf, in den Gemüsegarten. Auch im Winter, wenn er erst eine Stelle festtreten musste, damit er mich dort im hohen Schnee abstellen konnte. Oder Jahre später, wenn wir bei Vollmond Rhabarber ernteten. Nicht, weil Vollmond war, sondern weil es dann noch hell genug war für die Arbeit. Er hat mich aufgefordert, die Rhabarberstängel laut auf französisch oder englisch zu zählen, damit ich dabei etwas lernte. Da er, und auch Mutter, während des ersten Weltkrieges in Deutschland zur Schule gegangen waren, war diese Schulzeit nur kurz und die Schulstunden fanden nicht immer statt. Also achtete er peinlichst darauf, dass wir unsere Schulpflicht ernst nahmen. Dumme Leute dürfe man nicht verachten, sagte er immer. Denn das, was dumm ist, sei nicht festgelegt. Aber ungebildete Leute, die die Möglichkeit zur Bildung gehabt hätten, die wären nach seiner Auffassung wohl verachtenswert. Mit Politik hatte er nicht viel am Hut. Charles de Gaulles jedoch fand er richtig gut und bewundernswert. Ganz besonders, weil der ohne Manuskript in einer Fremdsprache eine Rede halten konnte. Wo doch andere sogenannte Staatsmänner trotz Manuskript in ihrer eigenen Muttersprache herumstotterten.

Hundert Jahre alt wäre er im August geworden. Sein Herz hat es nicht so lange geschafft. Das organische Herz. Das andere, das lebt weiter. Bei mir

Verena am 21.09.04


wunderschöne Stiefmutterlinie

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