12.01.1996
Büros haben etwas von Zoogehegen.
Irgendwo ähneln sie unserem natürlichen Lebensraum, aber andererseits schaffen sie es nicht
wirklich, uns vernünftige Verhältnisse zu bieten. Im Zoo misst man den Erfolg der Gehegegestaltung
nicht zuletzt an der Paarungsbereitschaft und der Vermehrung der Gehegebewohner - und ganz
ehrlich, die geringe innerbüroliche Nachzucht sollte den Bürogestaltern zu denken geben!
Ein Büro ähnelt einem Zimmer daheim, aber nur auf den ersten Blick.
Natürlich gibt es Fenster, aber anders als daheim, kann man die nicht nach eigenem Gutdünken
öffnen oder schließen. Bestenfalls gibt es eine Klimaanlage, die mit grifflosen Fenstern einhergeht
und dazu führt, daß alle Bürobewohner im Leid vereint sind. Der schlimmere Fall sind Fenster die nur theoretisch
problemlos zu öffnen sind, da sie die Bewohner in 2 uneinige Parteien splitten.
Die Partei derjenigen, die empfindlich gegen Zug, Kälte, Lärm und sonstige Begleiterscheinungen
der Frischluft sind und die Partei derjenigen, die die Ausdünstungen anderer nicht mögen und sich
ständig an den Hals greifen und stöhnen müssen, wenn ihnen besagte Frischluft vorenthalten wird.
Bürobewohner sind, ich gebe es zu keine einfach zu haltende Gattung. Kämpfe werden nie offen
ausgetragen, sondern unterschwellig mit Gesten, Blicken und bestenfalls leise gezischten Andeutungen.
So führt fast jeder Gegenstand im Büro zu Gerangel, das unsensibleren Naturen vielleicht verborgen
bleibt. Grundsätzlich blendet jede Lampe einen der Angestellten, während das Ausschalten einer Lampe
zur sofortigen Erblindung und Arbeitsunfähigkeit eines anderen führt.
Im Sommer eingesetzte Ventilatoren führen zu ähnlichem Ergebnis - entweder Erstickungsanfälle, oder
zuckende Gesichtsnerven und steife Hälse aufgrund des Zugs.
Auch Gegenstände, die der Wiederauffüllung bedürfen, führen zu Ärger.
Da ist das Kopiergerät, das Faxgerät und die Kaffemaschine.
Solange alle drei Geräte gut gefüllt sind, herrscht fast so etwas wie Ruhe und Zufriedenheit,
aber wehe es mangelt an Papier oder Kaffee. Nicht, daß irgendjemand sich zu fein wäre, die Geräte
aufzufüllen - im Gegenteil, es stellt sich heraus, daß alle Bewohner ständig nichts anderes tun, als eben
jene Geräte aufzufüllen und daß nun halt mal jemand anderes an der Reihe sei.
Glück, wenn die Geräte von mehreren Abteilungen geteilt werden, da der schwarze Peter dann
natürlich bei den anderen Abteilungen liegt und der innerbüroliche Friede nicht bedroht wird - Pech
allerdings fast immer bei der Kaffeemaschine, da jede Abteilung ihre eigene zu haben pflegt.
Wer ein neues Büro betritt, in dem direkt mehrere Kaffeemaschinen stehen - schlimmstenfalls so viele, wie
Angestellte in der Abteilung sind - weiß direkt, wie es um den Bürofrieden gestellt ist.
Die mildere Variante ist noch der Zettel mit den Namen aller Kaffeetrinker und einer endlosen Reihe
kleiner Striche, die die Anzahl der getrunkenen Tassen angibt und so eine gerechte Aufteilung
der Kosten in erreichbare Nähe rücken läßt. (nicht wirklich, denn es gibt Angestellte, die größere
Tassen haben, keine Milch benutzen oder gar hin und wieder ihr Strichlein vergessen) Nicht geklärt
ist mit solchen Listen, wer für die Beschaffung neuer Filtertüten, Milch, Zucker und des Kaffess zuständig ist...
Auch ist es für den Bürobewohner nicht einfach, sein Revier eindeutig zu markieren. Bis auf den
Schreibtisch kommt dem Bürobewohner eigentlich alles einmal abhanden, was dazu führt, daß
alle Gegenstände mit kleinen Zetteln und Namen versehen werden. Zettelchen am Kugelschreiber,
dem Locher, Tucker, Büroklammerdöschen und so weiter.
Diese Zettelmethode scheint sich bewährt zu haben, denn sie zieht seit längerem weitere Kreise:
Hilfreiche Zettel, meist sogar liebevoll am Computer ausgedruckt und handcoloriert, weisen einen
schon an der Toilettentür darauf hin, daß diese stets geschlossen werden soll.
Eine Tür weiter erfahren wir, daß aufgebrauchte Toilettenrollen umgehend durch eine neue ersetzt
werden sollen und sitzend, lesen wir ermunternde Nachrichten hinsichtlich der Benutzung der
Klobürste, der Öffnung der Fenster, verkleckerter Klobrillen und dann noch ein amtlicher Aufkleber,
der auf die Container hinweist, die Binden und ähnliches aufnehmen sollen.
Oh, nicht zu vergessen der Zettel, der daraufhinweist, daß nie und unter gar keinen Umständen
auf der Toilette geraucht werden darf. Dieser Zettel hat in der Tat eine magische Wirkung, die
man in jedem Büro nachprüfen kann: drei Tage nachdem so ein Zettel aufgehängt wurde, schwimmt
die erste Kippe in der Kloschüssel und der Zettel ist durch einige Brandflecken verziert.
Die Ernährung der Bürobewohner ist auch nicht ganz einfach und wird von manchen Organisationen
noch dadurch erschwert, daß rigide Pausenzeiten eingeführt werden, die die Angestellten zum Schlingen
zwingt. Nun, vielleicht soll dies verhindern, daß die Bürobewohner zu sehr über die Güte und Qualität des
Kantinenmampfes nachdenken. Die Pausenzeit beträgt übrigens die offizielle Zeit plus der
Jahre, die der Bewohner schon im Büro verbringt in Minuten (meist großzügig aufgerundet).
Bei neueren und jüngeren Angestellten, wird von den alteingesessenen Bewohnern meist penibel
die Pausenzeit kontrolliert und auch kommentiert. Ein einfühlsames "heute war es aber voll, oder?!"
führt bei manchem neuen Bürobewohner zu Herzrasen und dazu, die nächste Pause noch weiter zu verkürzen.
Erfahrene Bürobewohner kehren ein Stündchen nach Ende ihrer Pause mit "wichtigen Papieren", einer Rolle
Faxpapier, rasenden Kopfschmerzen oder frisch informiert aus einem Gespräch mit einem
Vorgesetzten zurück - was halt so auf dem Weg lag und diesen völlig verständlich etwas verlängert hat...
Anders als von Bewohnern von Zoogehegen wird vom Bürobewohner noch eine gewisse Leistung
verlangt, die dieser nur unwillig erbringt. Darauf angesprochen ist jeder Bürobewohner emsig am Werke
und ständig am Rande des Zusammenbruches, während andere Kollegen, die er nur ungerne und
zögerlich namentlich erwähnt, so gut wie gar nichts tun. Natürlich sieht kein Bürobewohner ein, auf
Dauer für die anderen mitzuschuften, möchte aber auch keinen öffentlichen Streit provozieren und sucht
so nach Wegen, möglichst unauffällig möglichst wenig zu tun. Oh, aber wie gesagt nicht, weil der
Angestellte nun faul oder unfreundlich ist, sondern nur um den anderen eben auch eine Chance zur
Leistung zu geben. In jeder Abteilung gibt es einen Angestellten, der ca. 80 Prozent des Arbeitsvolumens
alleine erledigt - ungewöhnlich ist nur, daß jeder Bürobewohner davon ausgeht, daß er derjenige
ist.
Wirklich stramm arbeiten tun eigentlich nur Halbtags- oder Teilzeitkräfte - und das, weil einfach jeder
weiß, daß diese Leute gar nichts tun und nur zum Kaffeetrinken und plaudern kommen.
Ganz übel sind natürlich solche Bürobewohner, die der außerbürolichen Paarung und damit verbundener
Vermehrung fröhnen und Büros nur im Abstand von 3 Jahren für kurze Zeit betreten...