04.02.1998
Ihr kennt doch diese Familiengeschichten, oder?
Solche Geschichtchen, die zu jedem Anlass, Hochzeit, Taufe, Beerdigung, Silberhochzeit etc immer und immer wieder erzählt
und immer weiter ausgeschmückt werden. Ich kann mir vorstellen, daß irgendwann einmal eine betagte Dame, die dumm genug war,
ihre Kinder mit in ihr Haus ziehen zu lassen, die Scheune aufräumte und unter anderem das völlig verkehrsuntaugliche Mofa
eines ihrer Enkelkinder zum restlichen Sperrmüll auf die Straße schieben wollte.
Statt zu helfen, hing die Familie am Fenster, schmückte die Geschichte schon ein wenig aus - und schwupps haben wir das Lied von
der Oma, die im Hühnerstall Motorrad fährt...
Nun, ich sehe schon, wie ich künftig von einer ähnlichen Geschichte verfolgt werde. Nein, eigentlich nicht ähnlich...
Es begab sich also, daß ich meinen allwöchentlichen Besuch bei meiner großen Schwester vorbereitete und mir auch meine
Brigitte-Diät Mahlzeiten zubereitete. Ich tupperte alles brav ein, stopfte Oliver ins Auto, holte seine große Schwester vom Kindergarten
ab und dann bretterten wir über die Autobahn zum Bauernhof meiner Schwester.
An diesem Tag standen Blumenkohl und 4 Pellkartoffeln auf meinem Speiseplan. Wie es der Zufall so will, hatte auch meine
Schwester Pellkartoffeln zubereitet. Ich schaufelte mein Essen auf meinen Teller und versuchte die bohrenden Fragen meiner
naseweisen Nichten zu überhören. Die Gene sind in unserer Familie ungerecht verteilt - meine große Schwester ist - tja, groß und
schlank - sehr schlank - MAGER!!!
dafür habe ich wunderschönes wallendes Haar, während sie dank ihrer zeitlichen Nähe zum 40. Geburtstag sehr viel mehr
graue, als dunkelbraune Haare hat...
ha, das tat jetzt gut...
Meine Nichten begannen ihre allwöchentliche Diskussion, die immer sehr schmeichelhaft damit beginnt, daß sie zuerst feststellen,
daß ich nicht zu dick bin.
:-)
Außer... und dann geht es los... zum Ende hin kommt die tröstliche Aufzählung all derer, die noch vieeeel dicker sind.
Ich trete gegen alle in meiner Nähe befindlichen Schienbeine und lächle honigsüß. Stelle Fragen nach den letzten Englischnoten,
sehe rabenschwarz schmutzige Fingernägel und mache Andeutungen, daß ich in nächster Zeit unmöglich in die Stadt komme um
anstehende Geburtstagsgeschenke zu kaufen, da ich nicht möchte, daß die Straßenbahn wegen meines Gewichtes zusammenbricht...
Normaler Weise bringt meine Schwester ihre Kinder und mich irgendwie auf andere Themen - an diesem Tag starrte sie auf
meine Pellkartoffeln.
Wieviel Gramm Kartoffeln darfst du denn essen?
4 Stück antwortete ich arglos. Hätte ich doch irgendeine Grammzahl geantwortet!!!
Die Pellkartoffeln meiner Schwester waren klein - sehr viel kleiner, als meine Kartoffeln. Dieses Biest, was ich gelegentlich
große Schwester nenne, nahm 4 ihrer Babykartoffeln und legte sie neben meine auf meinen Teller. Lachtränen purzelten
über ihr Gesicht und ich wußte, daß ich nicht nur den Rest des Tages darunter zu leiden hätte, daß meine "Ackergold-Kartoffeln"
deutlich größer waren.
Weißt du noch??? Damals, als Carola diese Kürbisgroßen Diätkartoffeln mitgebracht hat???
Die Sache ist die, daß ich natürlich niemals abnehmen werde. Nein, 4 kg runter, 4 kg rauf, 4kg runter...
immer auf Diät und immer ein Pummel... Vermutlich werde ich als Beweis neben den Babybildern meiner Kinder und meiner
Enkel immer noch Fotos mit mir herumschleppen, auf denen ich schlank war. Glaubt mir ja sonst kein Mensch...
Und immer, immer, immer, wird jemand daran denken, die lustige Geschichte mit den Diätkartoffeln zu erzählen.
Ich versuchte, gegen meine haltlos kichernde Schwester anzukommen, versuchte zu bremsen und zu retten - vergebens,
kein Argument konnte die Sache stoppen. Ich weiß es...
Gestern rief meine Schwester nämlich an, da sie das nächste Mal mit in die Metro kommen möchte - und, was sagte sie zum
Schluß?
gibt es dort auch Kartoffeln? Diätkartoffeln???
Lacht nur, hahaha - ich weiß nämlich doch noch, wie ich der Sache entgehen kann: